Sonja Anders:In den Prinzessinnendramen zeigen Sie Frauen stets als „Objekte“. Mit
Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin (bzw. Maria Stuart und Elisabeth) verschieben Sie den
Akzent; weibliche „Subjekte“, die Geschichte machen, sind das Thema. Können Sie erklären,
was Sie damit meinen: Wann ist Frau Objekt, wann ist sie Subjekt ihrer Handlungen? Und:
Worin drückt sich, sofern er denn existiert, der Subjektstatus Ulrike Meinhofs und Gudrun
Ensslins aus?
Elfriede Jelinek: […] Die Prinzessinnen sind vielleicht eine weibliche Lebensmüllhalde,
aber der Müll besteht aus Gegenständen, die nicht fertiggeworden und vorzeitig
weggeschmissen worden sind. Sie sprechen davon, was hätte sein können
oder was wäre wenn… Berühmte Dichterinnen, die geglaubt hatten, Königinnen ihrer
Kunst, ihrer Familie, der Männer, des Heims zu sein, werden zu Schrott, und sie
wissen es. Die Königinnen dagegen sind, ob sie es wollen oder nicht, Subjekte von
Geschichte. Sie haben diesen Status, entweder durch Geburt (die historischen Königinnen
Maria Stuart und Elisabeth I.) oder durch ihren leidenschaftlichen Wunsch,
sich zu Subjekten der Geschichte zu machen, als „angemaßte“ Königinnen. […] In
der RAF haben die Frauen die Macht an sich gerissen, jede auf ihre Weise, beide waren sie Mütter und haben ihre Kinder verlassen, aber sie haben die Geschlechtsrolle
nicht verlassen. Die Königin Gudrun hat neben ihrem Kinderkönig Andreas
geherrscht, Ulrike (von der der ehemalige BKA-Chef Herold behauptet, erst ihr Eintritt
in die RAF habe diese für die Intellektuellen, die linke bürgerliche Intelligenz
– auch wenn sie sich damals nicht als bürgerlich gesehen hat, war sie es doch – sozusagen
salonfähig gemacht, zu etwas, für das man sich offen engagieren konnte)
hat ihre Weiblichkeit offenbar bewusst hintangestellt (in diesem Sinne war sie mehr
Elisabeth als Gudrun Ensslin, meine Elisabeth, die ja die sieghafte Herrscherin ist).
Was mich aber noch mehr interessiert hat, ist die Differenz, die Kombination mit
den historischen Königinnen, die ja immerhin die Schiller’sche Sprachleidenschaft
beisteuern, das Stück ist ja zur Gänze in gebundener Sprache geschrieben. Schiller
ist also der Rhythmusgeber, die Rhythmusmaschine. Diese Spielformen weiblicher
Herrschaft (nur bei der historischen Elisabeth hat das zu einem „natürlichen“, nicht
gewaltsamen Tod geführt, aber sie hatte natürlich diese entsetzliche Kindheitserfahrung,
dass ihre Mutter geköpft worden ist), die alle in den Tod führen, weil politische
Herrschaft für eine Frau immer Überschreitung ist, schon indem ihre Weiblichkeit
in der Herrschaft überhaupt thematisiert wird (bei Männern ist der Herrschaftsanspruch
selbstverständlich), die habe ich festzuhalten versucht. […]
Welcher Konflikt zwischen Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin hat Sie interessiert? Was
macht ihn auf Maria Stuart und Elisabeth übertragbar?
Also da müsste ich einen ganzen Roman schreiben, um das zu beantworten. Es geht,
wie gesagt, um zwei Frauen, die sich zu Protagonistinnen von Geschichte erklärt
haben. In Schillers Stück durch königliches Geburtsrecht, in der RAF sind es selbstermächtigte
Herrscherinnen (oder solche, die sich vom „Volk“ ermächtigt fühlen!),
die glauben, die Geschichte in die Hand nehmen zu müssen. Es gibt da aber unzählige
Facetten der Persönlichkeiten dieser beiden Frauen.
aus: Sonja Anders: „Vier Stück Frau“. Vom Fließen des Sprachstroms. Einige Antworten von Elfriede Jelinek. In:
Programmheft des Thalia Theater Hamburg zu Elfriede Jelineks Ulrike Maria Stuart, 2006.
Über
Ulrike Maria Stuart
, die RAF (
Rote-Armee-Fraktion
,
Terrorismus
),
Ulrike Meinhof
und
Gudrun Ensslin
(die „Königinnen“, die mit den weiblichen Figuren in den Prinzessinnendramen verglichen werden), Frauenbilder (
Frau
),
Angela Merkel
,
Nicolas Stemann
und ihre
Theaterästhetik
. Die Bezüge zur RAF verwende sie im Text „als mythisches Material“, und sie versuche, „das, was Mythos ist, zu deduzieren“ und ihm „seine Geschichte zurückzugeben“. Es geht ihr darum, Personen zu zeigen, „die sich zu Protagonistinnen von Geschichte machen wollten, was ihnen nicht gelingen konnte, weil die Geschichte selbst bestimmt, wohin sie geht.“