Du, der du den Gebirgsbach gesehen hast, rot von Blut,
die strohgedeckte Hütte, gelegt in Asche,
die Gedärme von José auf der Spitze einer Pinie,
die 15jährige Maria vergewaltigt, aufgespießt mit dem Bajonett,
die Großmutter von Rosendo, erwürgt mit Verbandszeug,
Juan, der sie im Sterben verfluchte, als sie ihm das
Schädlingsbekämpfungsmittel spritzten,
das einjährige Kind von Mariana in zwei Teile gespalten, vom
Becken bis zum Hals,
und ihre Fehlgeburt, nach den vielen Vergewaltigungen
am Tag, als die Nationalgarde kam,
da ergriff dich ein Zorn, […].
Sandino, wenn du sehen könntest, wie rein heute die Gewässer
fließen, ganz rein,
und die beschlagnahmte Erde aufgeteilt wurde
unter jene, die früher nicht einmal eine Handbreit von ihr besaßen,
wo man keine Heuschoberhütten sehen wird
und keine Papierhäuser.
Deine Brüder arbeiten in den landwirtschaftlichen Produktionseinheiten
und wissen, daß alles anders geworden ist.
Die Mädchen wachsen auf im Vertrauen, Frau zu werden,
wenn sie selbst es bestimmen.
Mariana ist wieder schwanger,
und niemand wird ihr eine Fehlgeburt machen.
Wenn du sehen könntest, wie sich alles entwickelt
nach der Revolution
die Dichterwerkstätten
aus denen dieses Gedicht für dich kommt.
Wenn du mich nicht hören kannst,
so werden, wie du selbst es sagtest
„die Erdamaisen
es dir in deinem Grab erzählen.“
Cony Pacheo
, geboren 1957 in Subtavia, einem hauptsächlich indianisch besiedelten Vorort von León, arbeitete als Hilfskrankenschwester und Näherin. Sie veröffentlichte in Poesía Libre , der Zeitschrift der Dichterwerkstätten, und in Kulturbeilagen von Zeitungen.
Jelineks Übersetzung von
Cony Pachecos
Gedicht Sandino erschien 1986 in der zweisprachigen Anthologie Unter dem Flammenbaum . Die Anthologie versammelt neben den Werken renommierter SchriftstellerInnen aus Nicaragua auch im Rahmen von Dichterwerkstätten entstandene Gedichte. Jelinek erstellte die Übersetzung auf Basis von Vorarbeiten des Journalisten
Werner Hörtner
. Das Gedicht bezieht sich auf die sandinistische Revolution in Nicaragua 1978-79 und kontextualisiert in direkter Gegenüberstellung Beschreibungen von
Natur
mit drastischen Schilderungen militärischer
Gewalt
(
Krieg
). Der Guerillaführer
Augusto César Sandino
wird namentlich genannt und als „du“ angesprochen. Am Ende wird Bezug auf die nach der Revolution gegründeten Dichterwerkstätten genommen, „aus denen dieses Gedicht für dich kommt“.
Der Text weist eine Gliederung in Strophen auf, deren Längen variieren. Der Sprachrhythmus, die Satzkonstruktionen und die unterschiedlichen Einrückungen der einzelnen Verszeilen wurden in der Übersetzung beibehalten.