Unter Fremden (Among Aliens, 1975)

Abdrucke

  • Unter Fremden. In: Litfaß 28 (

    1983

    ), S. 49-50

    .

 

P. J. Blu­men­thal

, geboren in New York, lebt seit 1975 als freier Schriftsteller, Übersetzer und Journalist in München. Jelinek arbeitete mit

Blu­men­thal

auch bei ihrer Übersetzung von

Tho­mas Pyn­chons

Die En­den der Pa­ra­bel (1981)

und bei ihrem Libretto zu

Lost High­way (2003)

zusammen.

Blu­men­thal

übersetzte Jelineks Theatertext

Der Tod und das Mäd­chen I (Schnee­witt­chen) (2001)

und mehrere ihrer Essays.

Das von Jelinek übersetzte Gedicht stammt aus

P. J. Blu­men­thals

Band Why I like Hitler or unruly emotions (München: Schwartz 1975) und wurde 1983 in der Berliner Literaturzeitschrift

Litfaß

veröffentlicht. Um das Motiv des Fremdseins kreisend wird die Ausgrenzung und das Leben als

Au­ßen­sei­ter

in einer fremden

Ge­sell­schaft

aus der Perspektive eines lyrischen Ichs thematisiert und Fragen nach der eigenen Identität gestellt. Dem englischsprachigen Original entsprechend weist das Gedicht in der deutschen Übersetzung keine Gliederung in Strophen, sondern kurze Satzkonstruktionen auf.

 

 

Unter Fremden
Eine Lüge kennt keine Grenzen.
Sie zu erzählen oder abzuleugnen
ist nicht bedeutsamer als das Wie.
Ich bin bei meinem Volk geboren
und lebe jetzt unter Weißen.
Sie haben mir ihre Art gezeigt
und mich ihre Sprache gelehrt,
aber immer noch kann ich nicht Auto fahren
oder ihren Whiskey trinken.
Und ich will kein Kind
in ihre Welt setzen,
damit es stirbt
ohne einen liebenden Gott.
Wir fürchten uns nicht zu töten,
noch fürchten wir uns zu sterben.
Aber ihre Feinde kann ich nicht töten
ohne Grund.
Ich bin allein in diesem Land.
Meine Leute sind weit fort.
Ein Brief ist für mich ein Ereignis.
Der Briefträger kennt kaum meinen Namen.
Meine Liebe ist sehr weit von hier
und doch brenne ich hitzig.
Ich kann mich nicht befriedigen
mit ihren ungeduldigen Zuckungen von Affären.
Ich warte
wie man’s mir beigebracht hat.
Und die Zeit wird kommen.
Und dann wird diese menschliche Rasse
voll Ungewißheit erbeben
vor der ungeheuerlichen Gewalt
dieses Wiedersehns.
P. J. Blumenthal: Unter Fremden. Ü: Elfriede Jelinek. In: Litfaß 28 (1983), S. 49-50.

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