Das Wort, als Fleisch verkleidet

Le Monde diplomatique 12/2004

Abdrucke

auch in:

 

Dankesrede zur Verleihung des

Les­sing-Prei­ses für Kri­tik 2004

; von Jelinek bei der Preisverleihung am 3.5.2004 in gekürzter Fassung vorgetragen. Als Folie dient

Les­sings

religionsphilosophische Abhandlung Die Erziehung des Menschengeschlechts , in der er die Erziehung eines Kindes durch Pädagogen mit der Erziehung des Menschengeschlechts durch die Offenbarung vergleicht. Den von

Les­sing

postulierten Fortschritt in der Entwicklung der Menschheit durch die Ankunft Christi zieht Jelinek in Zweifel, indem sie auf die Grausamkeit und Sinnlosigkeit seines Märtyrertodes (

Tod

) verweist. Davon ausgehend problematisiert sie das Märtyrermotiv (

Fun­da­men­ta­lis­mus

) auch in Bezug auf den

Is­lam

und fragt nach der Wirkung von Schrift im Allgemeinen, aber auch ihres eigenen Schreibens.

Jelinek verwendete eine gekürzte Fassung dieser Rede mit einem Anhang über

Stig Da­ger­man

als Dankesrede zur Verleihung des

Stig Da­ger­man-Prei­ses der Stig Da­ger­man-Ge­sell­schaft

; bei der Preisverleihung auf Laxön in Älvkarleby am 5.6.2004 wurde die Dankesrede, von Jelinek gelesen, per Video eingespielt. Veröffentlichung des Anhanges der Rede über

Stig Da­ger­man

:

http://www.elfriedejelinek.com/fdagerm.html (15.7.2014), datiert mit 12.6.2004 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Archiv 2004, zu Politik und Gesellschaft; Titel: Stig Dagerman-Preis ).

Eine gekürzte Version der Dankesrede wurde bei der Emilia Galotti -Produktion des

Gra­zer Schau­spiel­hau­ses

(Premiere: 25.11.2004) verwendet.

An­drea Wenzl

, die Darstellerin der Emilia, sprach sie am Ende als eine Art Epilog vor dem demontierten Bühnenbild. Diese Version basiert auf einer Kürzung, die von Jelinek für die Produktion vorgenommen wurde. Diese Kürzung wurde vom Regisseur

Gi­an Ma­nu­el Rau

und seinem Dramaturgen

Phil­ip­pe Bi­schof

noch einmal gekürzt. Eine Fassung dieser weiteren Kürzung wurde im Programmheft abgedruckt:

Das Wort, als Fleisch verkleidet. Eine Art Epilog für Emilia Galotti . In: Programmheft des Schauspielhauses Graz zu Gotthold Ephraim Lessings Emilia Galotti , 2004.

Die von Jelinek gekürzte Fassung wurde auch, von Jelinek gelesen, für Stefan Geisslers und Walter Seidls Video Untitled (Galotti) verwendet, das im Rahmen der Ausstellung Videorama. Kunstclips aus Österreich vom 4.11.2009-10.1.2010 in der

Kunst­hal­le Wien

zu sehen war. Veröffentlicht wurde das Video auf der DVD:

Kunsthalle Wien (Hg.): Videorama. Artclips from Austria. / Kunstclips aus Österreich . DVD. Wien: Kunsthalle Wien 2009.

 

Das Vaterland kann töten, die Wissenschaft kann töten, der Krieg kann das natürlich schon längst, Jesus ist selbst getötet worden, damit andre in seinem Namen, der nicht nur einfach so dahingestellt und dahingeschrieben ist, töten können. Aber die Schrift selbst, als Schrift, die tötet nicht. Klugheit und Wahrheit, ja, Worte sind nötig, das glaub ich auch, denn wer aufhört zu reden, der mordet vielleicht im nächsten Moment schon. Daher: Ein besserer Pädagoge muß her und dem Kind „das erschöpfte Elementarbuch“ endlich aus den Händen reißen. Christus kam und zerriß selbst. Der Tempelvorhang zerriß, und Christus zerriß auch, buchstäblich, und eine neue Zeit der Unsterblichkeit begann, aber einer Unsterblichkeit, für die man erst mal sterben mußte. Umgekehrt geht nicht, da wird nicht einmal ein Schuh draus, der Schuh liegt dort ganz allein, und ein Stück zerfetzter Fuß steckt noch drin. Da hätte man ihn doch gleich ganz lassen können, den Menschen. Da hätte man den Menschen doch gleich im Ganzen erhalten können, statt ihn erst mal in den Tod zu schicken. Das Lamm Gottes hat seine Scharen zum Zerreißen angeregt, und was sie zerrissen haben, das war kein Papier. Das Lamm wußte, was es heißt, ein Opfer zu sein. Andre sollen das auch genießen können. Was ist dagegen bloße Schrift!

aus: Elfriede Jelinek: Das Wort, als Fleisch verkleidet. In: Le Monde diplomatique (deutsche Ausgabe) 12/2004, S. 1, 12-13, S. 12.

Übersetzungen

Französisch

  • Le mot déguisé en chair. In: Le Monde diplomatique (französische Ausgabe) 12/

    2004

    , S. 28-29

    (Ü:

    Bri­git­te Pät­zold

    , Titel: Le mot déguisé en chair )

    .

Norwegisch

Polnisch

Russisch

Schwedisch

Spanisch

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