Präsident Abendwind

Ein Dramolett, sehr frei nach J. Nestroy

Programmheft zur Uraufführung am Literaturhaus Berlin, 1987

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Aufführungen

 

Präsident Abendwind war ein Auftragswerk des Literaturhauses Berlin. Das Literaturhaus beauftragte für sein Theaterfest Antropophagen im Abendwind vier AutorInnen,

Jo­hann Nes­troys

Häuptling Abendwind oder Das greuliche Festmahl. Eine Operette (1862) zu bearbeiten. Neben Jelinek wurden

Li­buše Moní­ko­vá

,

Os­kar Pas­ti­or

und

Hel­mut Ei­sen­d­le

gebeten. Jelinek verarbeitete in Präsident Abendwind die Wahl

Kurt Wald­heims

zum österreichischen Bundespräsidenten 1986 (

Po­li­tik

). Diese Wahl hatte aufgrund von

Wald­heims

Umgang mit seiner Vergangenheit als Offizier der deutschen Wehrmacht zu Protesten geführt und war Auslöser einer grundsätzlichen Diskussion über die Verantwortung und Mitschuld Österreichs (

Ös­ter­reich

) an den Verbrechen des

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

.

Der Theatertext ist in drei Akte gegliedert, nach dem 2. Akt folgt ein Zwischenspiel, es gibt zwei Lieder und einen Schlusschor. Ausgehend von der

Wald­heim

-Affäre thematisiert das Stück die unzureichende

Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung

in Österreich sowie

Ras­sis­mus

und

Frem­den­feind­lich­keit

.

Abendwind, der Vorsitzende des Rates der Vereinigten Pfitschiinseln und Exporteur von Menschenfleisch (

Kan­ni­ba­lis­mus

), bewirbt sich auf Bitten seiner Tochter Ottilie um das Amt des Präsidenten und wird trotz anfänglicher Schwierigkeiten in seiner Kampagne durch die Hilfe seines zukünftigen Schwiegersohnes Hermann auch gewählt. Bei einem Staatsbesuch des Präsidenten der Nachbarinsel, Franz Josef Apertutto (der auf den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß verweist, gegen den sich 1987 die Wiener Opernball-Demonstration (

De­mons­tra­ti­on

) richtete), wird Abendwind von einem weißen Bären, der sich als Vertreter einer „überseeischen Fernsehgesellschaft“ vorstellt, gefressen.

Für die Lieder und den Chor (

Mu­sik

) wurden Textpassagen aus den Operetten Wiener Blut und Die Fledermaus von

Jo­hann Strauss

und Wiener Liedern wie Es wird ein Wein sein verarbeitet.

Nach der Uraufführung am Literaturhaus Berlin im Jahr 1987 wurde das Stück in Österreich erst 1992, also erst nach der Präsidentschaft

Wald­heims

, gespielt.

 

1. Akt
(Abendwind und seine Tochter Ottilie sitzen in südseeinsulanischer Urwaldlandschaft. Sie sind aber europäisch-repräsentativ gekleidet, dezente Beimengungen von Südsee-Folklore wie Federn, Nasenringe, etc. Ottilie sehr aufgetakelt, aber sympathisch. Beide kauen an blutigen menschlichen Schenkelknochen. Das Blut rinnt ihnen übers Kinn.)
Ottilie: Ach Papa, ich bin scho ganz deschparat. Ich tät so gern wollen, daß du Präsident wirst von die unsrigen! Kunntetest dann unter anderem ermäßigt mit der Elektrischn fohrn! Und meine Fraindinnen täten schaun!
Abendwind: Aber geh, Tschapperl... Allweil arbeitn... keine Feiertäg mehr, des is doch gar net pfitschiinsulanisch! Der Mensch muß auch essen, nicht nur arbeitn.
Ottilie: Aber der Pappa von der Pepi is auch ein Präsident, und alle Leute kennen ihm. Die Pepi tut mich immer sekkiern deswegn.
Abendwind: Und is des gar nix, daß ich der Vorsitzende von dem Rat von die Vereinigten Pfitschiinseln bin? Sie haben mich eigens gnommen dafier, ’s gibt zur Zeit kein Schlechtern!
Ottilie: Aber der Pappa von der Pepi....,
Abendwind: Und außerdem bin ich der greeßte Fleischexporteur.. und meine liabn Bluatbankerln ieberoll im Lond erscht... An jedem schönen Aussichtspunkt eine kleine Blutbank... Diskretion Ehrensache!
Ottilie: Geh sei fesch, Papa! Ich wär so stolz auf dich...
Abendwind: Geh zua!... Schmeichelkatz!
Ottilie: Aber die Touristen, die zu uns kemman, die derfst dann nimmer abkrageln und ausbeindeln, Papa. Des versprichst mir, gell! Die kommen zwegn unsarem Klima. Und dann wollns gar nimmer heimfahrn, weils so schön is bei uns auf der Insel.
Abendwind: Aber vurigs Jahr erscht hat einer heimfahrn wollen.
Ottilie: Stimmt! Aber mir haben ihm nicht aussiglassen.
Abendwind: Mein tapferes Volk hat ihm vor der Grenz noch abgfangn und eingspirrt. Und donn hob i sukkzessive mei Vulk eingspirrt.
Ottilie: Derfst nimmer olle einspirrn, Papa, des tuat ma net. A paar muaßt scho aussilassn, damits unsare Gäst begrüßen können!
Abendwind: Unsere wirtschaftliche Stärke beruht auf der Zusammenarbeit zwischen Unternehmer und Unternommenen. Was miassens auch allweil so tiaf in unsaren Urwald einischliaffn?
Ottilie: Wennst erscht Präsident bist, Pappa, dann derfst es nimmer einrexen, die Fremden!
Abendwind: Und wo kriegen wir dann unser berühmtes Dosengulasch her? In der ganzen Pfitschiföderation gibts kein bessers!
Ottilie: Aussilassn muaßtes wieder, Pappa! Gonz klor. Damit sie in der Wölt herumerzählan tan, was mir fier einen gietigen Präsidenten haben. Und ich hab einen so einen guten lieben Pappa (sie küßt ihn ab und verschmiert ihn mit Blut), und die Mama hat einen lieben Mann gehabt, bevor sie irrtümlich mitm Fingerl in die Wurschtmaschin kommen is.
aus: Elfriede Jelinek: Präsident Abendwind. http://www.elfriedejelinek.com/fabendwn.html (15.7.2014), datiert mit 1999 (= Elfriede Jelineks Website, Rubrik: Theatertexte). (Beginn)

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