Wolken.Heim.

Uraufführung am Schauspiel Bonn, 1988. Foto: Stefan Odry

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Zusatztext

Aufführungen

Würdigung

1994 wurde

Jos­si Wie­lers

Inszenierung von der Zeitschrift

Thea­ter heu­te

zur „Inszenierung des Jahres“ gewählt.

1995 erhielt

Wie­lers

Inszenierung den 1. Preis des Theater-Festivals KONTAKT 95 in Torun, Polen (anlässlich eines Gastspiels der Inszenierung beim Festival am 27. und 28.5.1995).

 

Der Theatertext entstand 1987 als Auftragswerk für das Schauspiel Bonn anlässlich des 110. Geburtstags von

Hein­rich von Kleist

im Rahmen des Zyklus Wir Deutschen . Der Titel Wolken.Heim. assoziiert Wolkenkuckucksheim, die Luftstadt, die in

Aris­to­pha­nes

’ Komödie Die Vögel gegründet wird. Die Schreibweise des Titels ist unterschiedlich (mit/ohne Abstände zwischen den Wörtern, mit/ohne Punkte), Wolken.Heim. ist die von Jelinek autorisierte Schreibweise.

Wolken.Heim. ist ein durch Leerzeilen gegliederter Theatertext, der nicht auf Figuren aufgeteilt ist und keine Angaben zu Zeit und Ort hat. Ein nicht näher bezeichnetes Wir spricht. Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:

„Die verwendeten Texte sind unter anderem von:

Höl­der­lin

,

He­gel

,

Heid­eg­ger

,

Fich­te

,

Kleist

und aus den Briefen der RAF von 1973-1977“

Dem Text vorangestellt hat Jelinek eine Danksagung:

Dank an

Le­on­hard Sch­mei­ser

(‚Das Gedächtnis des Bodens‘) und

Da­ni­el Eckert

.

Die in den Reden des Wir verarbeiteten Intertexte aus der deutschen Literatur und

Phi­lo­so­phie

des 19. und 20. Jahrhunderts (u.a.

He­gels

Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte sowie Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften ,

Fich­tes

Rede an die deutsche Nation ,

Heid­eg­gers

Rektoratsrede Die Selbstbehauptung der deutschen Universität aus dem Jahr 1933, Gedichte

Höl­der­lins

und Texte von

Kleist

), die mit den Kassibern der RAF-Gefangenen verschränkt werden, kreisen um Deutschtum (

Deutsch­land

),

Hei­mat

und die „anderen“, die aus der Wir-Gemeinschaft ausgegrenzt werden. Ausgehend von der Philosophie des deutschen Idealismus und seinen Fortsetzungen untersucht der Text die Ursachen von

Na­tio­na­lis­mus

,

Ge­walt

(

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

,

Ro­te-Ar­mee-Frak­ti­on

,

Ter­ro­ris­mus

),

Frem­den­feind­lich­keit

,

Ras­sis­mus

und Ausgrenzung im Deutschland des 20. Jahrhunderts.

Für die Inszenierung am Wiener Volkstheater 1993 verfasste Jelinek einen Nachtrag mit dem Titel

An den, den’s an­geht (1993)

, der von ihr für eine Vorrede für die Volkstheater-Lesung von Wolken.Heim. am 26.10.1999, dem österreichischen Nationalfeiertag, unter dem Titel

Vom Volks­be­geh­ren zum Volk der Wahl

minimal überarbeitet wurde.

Einen weiteren Zusatztext verfasste die Autorin für eine

Wol­ken.Heim. -In­sze­nie­rung

von

Claus Pey­mann

2005 am

Ber­li­ner En­sem­ble

. Unter dem Eindruck der Streiks im Opel-Werk in Bochum 2004 ergänzte sie Wolken.Heim. um einen Epilog mit dem Titel Und dann nach Hause . Dieser Text nimmt Bezug auf aktuelle Themen wie Arbeitslosigkeit,

Glo­ba­li­sie­rung

, Konzerninteressen (

Ka­pi­ta­lis­mus

) und die

Ge­walt

Jugendlicher in Deutschland. Bei Und dann nach Hause handelt es sich um die überarbeitete Fassung des Nachtrags An den, den’s angeht (1993).

Im Theatertext

Schwarz­was­ser (2020)

griff Jelinek den Zusatztext

Und dann nach Hau­se

auf und arbeitete ihn in den Mittelteil So, und jetzt aber wirklich! Egal, wer das sagt ein.

 

 

Elfriede Jelinek: Eigentlich ist es ein Theatertext, geschrieben ein Jahr bevor die Rede war von Maueröffnung und Wiedervereinigung und „Wir sind ein Volk“. Was mich daran verblüfft hat, ist der Umstand, dass das Deutsche jetzt, zum Erscheinungsdatum des Buches, plötzlich eine so beängstigende Aktualität bekommt. Ich hatte mich immer schon beschäftigt mit dem Deutschen, und zwar – das klingt jetzt etwas absurd – aus einer völligen Fremdheit heraus, auch zugegebenermassen aus einer Fremdheit und Faszination heraus. [...] wollte mir eigentlich einmal über diese Faszination klar werden, indem ich das Deutsche oder einige seiner typischen Repräsentanten selbst habe sprechen lassen. Die Sprache selbst spricht ja auch nicht nur aus dem Mund dessen, der sie spricht, sie hat ein Eigenleben und spricht auch ihren Sprecher.

Walter Vogl:Wovon haben Sie sich denn bei der Auswahl der von Ihnen verwendeten Texte leiten lassen? Wie haben Sie so verschiedene Autoren wie Kleist und die RAF miteinander verknüpft?

Rhythmusgeber ist Hölderlin. Das ist derjenige, der den Sprachrhythmus, den Takt liefert, also das mächtige Metronom, das das Ganze immer wieder antreibt. Der deutsche Idealismus wäre ohne Hölderlin nicht möglich gewesen, gleichzeitig hat er ihn auch überwunden – also sozusagen der Triumph der Dichtung über die Philosophie – und deswegen ist er derjenige, der den Pulsschlag für diesen Text angibt. Und dann kommen noch einige wuchtige Deutsche – natürlich Idealismus: Hegel und Fichte –, Kleist, ausschliesslich aus den Dramen, nicht aus der Prosa, natürlich Heidegger und die Briefe der RAF als eine Fortsetzung des deutschen Idealismus mit anderen Mitteln. Die paar Stellen, die ich gefunden habe in den RAF-Briefen haben ein erstaunliches, fast hymnisches Sendungsbewusstsein, das sich durchaus mit Hölderlin und auch mit dem Ernst und der Schwere Heideggers in Übereinstimmung bringen lässt. Entscheidend ist aber, dass ich diese Texte ja zum Teil auch manipuliert habe, zwar nicht sinngemäss verändert, aber mit winzigen Veränderungen eigentlich meiner Sprache angepasst und eine Art Amalgamierung vorgenommen habe. Das hat eine erstaunlich homogene Textfläche ergeben, was ich mir vorher selbst nicht vorstellen konnte, die man aber nie lesen kann ohne diesen Raster der deutschen Geschichte, den man ja in seinem Gehirn hat.

aus: Walter Vogl: Ich wollte diesen weißen Faschismus . In: Basler Zeitung, 16.10.1990.

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