Über Tiere

Uraufführung im Kasino am Schwarzenbergplatz, 2007. Foto: Burgtheater Wien / Reinhard Werner

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Zusatztext

Aufführungen

 

Der Journalist

Flo­ri­an Klenk

recherchierte für die Wiener Stadtzeitung

Falter

über die Polizei-Protokolle eines Lauschangriffs auf eine Wiener „Begleitagentur“. In den Falter -Ausgaben 34/2005 und 35/2005 berichtete er über die gewalttätigen Praktiken der Mädchenhändler, deren „Handelsware“ meist minderjährige Mädchen aus den EU-Beitrittsländern (

Eu­ro­päi­sche Uni­on

) waren, und veröffentlichte Auszüge aus den Abhörprotokollen. Die österreichischen Kunden (

Ös­ter­reich

) waren Manager, Professoren, Politiker, Staatsanwälte und Richter, die teilweise über die Zwangslage der Mädchen informiert waren.

Klenk

stellte Jelinek seine Akten zur Verfügung. Sie bilden die Grundlage des Theatertextes Über Tiere , der auch als eine Art Gegentext zu ihrem Kurzprosatext

Be­gier­de & Fahr­erlaub­nis

gelesen werden kann.

Jelinek schrieb den Text ursprünglich als Auftragsarbeit für den Salzburger Abend liebe sprache klang. Don Juan Monologe (20.5.2006) der Veranstaltungsreihe dialoge , die die Internationale Stiftung Mozarteum im Mozart-Jahr 2006 organisierte. Er wurde im Rahmen dieses Abends von

The­re­se Af­fol­ter

vorgetragen. Aufgrund der ihr zugespielten Abhörprotokolle der Zuhälter erweiterte Jelinek danach den Text um einen zweiten Teil zur endgültigen Fassung.

Die zwei Abschnitte werden durch einen Seitenumbruch markiert. Der Text weist keine Angaben zu Figuren oder Schauplätzen auf. Im ersten Teil reflektiert ein weibliches Ich über romantische Liebesdiskurse und

Se­xua­li­tät

. Ein Großteil des zweiten Teils besteht aus den verarbeiteten Zitaten aus den Abhörprotokollen, in denen die Zuhälter und deren Kunden über die in die Zwangsprostitution (

Pro­sti­tu­ti­on

) getriebenen Mädchen und Frauen (

Frau

) sprechen, deren

Kör­per

wie Waren gehandelt werden (

Ka­pi­ta­lis­mus

,

Ge­walt

).

In dem für

Ti­na La­niks

Inszenierung am Schauspielhaus Zürich verfassten Zusatztext

Jetzt dür­fen die Men­schen ein­mal aus ih­ren Klei­dern her­aus. Und schon wol­len sie wie­der rein!

, der durch Leerzeilen gegliedert ist, bezieht sich Jelinek auf die Situation der Prostituierten in der Schweiz und die sogenannten „Verrichtungsboxen“, deren Aufstellung in einer Volksabstimmung beschlossen wurde. Über ihre Quellen hat Jelinek diesem Text Folgendes nachgestellt:

„So. Vielen Dank, lieber

Wolf­gang Pir­cher

. Du bist selber Schuld! Das nächste Mal schickst du mir halt was andres! Benutzt wird es sowieso. Ich kann alles brauchen. Das weißt du ja. Danke für das mit dem Pfand.

Kein Dank an

Aischy­los

(‚Der gefesselte Prometheus‘), aber der ist ja zur Entnahme frei.“

 

 

Peter Laudenbach:Sie verwenden in ihrem Text „Über Tiere“ Textmaterial aus Abhörprotokollen, Gespräche zwischen Mädchenhändlern, Wiener Zuhältern und ihren Kunden, die telefonisch Mädchen bestellen. Ein Zitat: „Es sollte eine echte Jungfrau sein und kann sogar schon 15 Jahre alt sein.“ Dieses Dokumentarmaterial ist ziemlich ekelhaft, gleichzeitig Verkaufsgespräch samt Anpreisung der Ware und eine Art Realporno: „Es gibt da keinen Aufpreis mehr für Naturfranzösisch.“ Wie kamen sie zu diesem Stoff? Weshalb arbeiten sie mit dokumentarischem Material?

Elfriede Jelinek: Ich habe in der österreichischen Zeitschrift „Falter“ zum ersten Mal Zitate aus diesen polizeilichen Abhörprotokollen gelesen und sofort gewusst, dass ich das für einen Text verwenden muss. Anschließend hat man mir weiteres Material zur Verfügung gestellt, aus dem ich dann eine Art Textcollage hergestellt habe. Es ist immer interessant, authentisches Material zu bekommen, weil man damit eine andere Sprachebene sozusagen wie einen Zwischenboden in den Theatertext einziehen, ihn strukturieren kann. Diese Sprache der Nutzung und Vernutzung hätte ich genau so nicht erfinden können. Ich wusste zwar, dass Männer so über Frauen sprechen, und ich wusste, wie Männer sprechen, wenn sie Kunden sind und Frauen für ihre Dienstleistungen bezahlen, also einen Anspruch auf diese Frauenkörper haben, aber es wörtlich zu haben, war doch ein großer Gewinn für den Text. Für mich waren diese Aussagen keine Überraschung, aber die Zuschauer im Theater hätten vielleicht gesagt, dass eine alte, ranzige Feministin mal wieder übertreibt: „So wie die Elfriede sich das vorstellt.“ Das kann man hier nicht, denn dieses Sprechen ist authentisch. Es ist sozusagen mein Beweis, und der liegt auf dem Tisch. […]

Geht es ihnen bei der Verwendung und Bearbeitung dieser Abhörprotokolle um so etwas wie Aufklärung, darum, etwas Verdecktes sichtbar, öffentlich zu machen – oder geht es viel eher darum, etwas längst allgemein Bekanntes bis zur Unerträglichkeit zu verdichten und das scheinbar Normale als das Monströse, das es ist, zu zeigen?

Es geht mir darum, das Bekannte zu verdichten und auf den Punkt zu bringen, ja, genau, wie sie sagen, das Normale als das Monströse zu zeigen, obwohl mir bewusst ist, dass viele Männer nichts Monströses darin sehen, sich Frauen zu bestellen wie eine Pizza, nur sind sie halt teurer. Es ist ein Geschäft wie jedes andere, nur dass die Ware eben lebendig ist, das ist sie aber auf dem Viehmarkt auch.

Kommt daher der Titel ihres neuen Theaterstücks „Über Tiere“?

Der hat mir halt gefallen, er ist mir so eingefallen. Tiere sind unschuldig, die Männer sind nicht unschuldig, aber Tiere sind Frischfleisch und werden auch als solches vermarktet. Das passiert der Frau in dem Text eben auch.

aus: Peter Laudenbach: „Ich habe nie übertrieben“ . In: tip Berlin 11/2007, S. 56-58, S. 57.

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