„Man will ja nicht schreiben, aber man muss“. Elfriede Jelinek glaubt nicht mehr an die Wirkung von Literatur, will jedoch „die Tyrannei der Mehrheit durchbrechen“

Nachweis

  • N. N.

    :

    „Man will ja nicht schreiben, aber man muss“. Elfriede Jelinek glaubt nicht mehr an die Wirkung von Literatur, will jedoch „die Tyrannei der Mehrheit durchbrechen“. In: Braunschweiger Zeitung,

    30.4.2004

    DN

    .

 

Anlass ist die Verleihung des

Les­sing-Prei­ses für Kri­tik

; über Lessing und dessen Zwiespalt von Vernunft und Leidenschaft als große Parallele zu ihrem eigenen Schreiben. Angesichts der Verbrechen des

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

im 20. Jahrhundert äußert sie sich pessimistisch über die Entwicklung der Aufklärung in Europa. Kritisch beleuchtet wird auch das Frauenbild (

Frau

) im

Is­lam

, der Umgang mit KünstlerInnen (

Künst­ler

,

Künst­le­rin

) in

Ös­ter­reich

sowie die Frage, ob man mit politisch engagierter Literatur heute noch etwas bewirken kann (

Po­li­tik

).

 

N. N.:Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer literarischen Kritik an Politik und Geschichtsvergessen in Österreich sowie an der Unterdrückung der Frauen durch Männer etwas bewirkt haben?

Elfriede Jelinek: Ich habe das früher gerne glauben wollen, und die teils heftigen Reaktionen auf das, was ich geschrieben habe, haben mich darin bestärkt. Vielleicht habe ich ja auch vorübergehend den einen oder anderen Menschen zum Nachdenken angeregt oder gar beeinflusst. Aber heute glaube ich nicht mehr an die Wirkung von Literatur. Die Sprache ist ein Trümmerhaufen, und darauf liegt der Sperrmüll von Bildern, die sich die Leute am liebsten nehmen, denn die schmücken das Heim, auch die hässlichen, grauenhaften. Ich kann nichts tun als die abgenagten Knochen, Eierschalen und fettigen Einwickelpapiere unter dem Bilder-Sperrmüll, der noch eine Illusion von Ganzheit vermittelt und die Illusion, man könnte ihn brauchen, und wäre es nur zur Dekoration, herauszerren und vor die Leute werfen. Die wollen das aber nicht noch einmal essen. Ich gebe Vorgekautes wieder, arbeite mit Montage und Zitaten, aber Neues habe ich nicht zu bieten, leider.

aus: N. N.: „Man will ja nicht schreiben, aber man muss“. Elfriede Jelinek glaubt nicht mehr an die Wirkung von Literatur, will jedoch „die Tyrannei der Mehrheit durchbrechen“ . In: Braunschweiger Zeitung, 30.4.2004.

Mehr unter Beziehungen zu anderen KünstlerInnen