„Ich bin Nora aus dem gleichnamigen Theaterstück von Ibsen“

Nachweis

  • Thie­le, Ri­ta

    :

    „Ich bin Nora aus dem gleichnamigen Theaterstück von Ibsen“. In: Programmheft des Wiener Burgtheaters zu Henrik Ibsens Nora oder Ein Puppenheim

    1997

    DN

    .

 

Ausführliches Interview über

Ib­sens

Nora oder Ein Puppenheim und die Bezüge von

Was ge­schah, nach­dem No­ra ih­ren Mann ver­las­sen hat­te

zu

Ib­sens

Stück. Es ging ihr im Text darum,

Ib­sens

„Geld- und Liebesmetaphorik“ weiterzuführen. Als wichtiges sprachliches Gestaltungsprinzip ihres Stücks bezeichnet sie den Umstand, dass die Figuren „wenn sie über Geld sprechen, in der terminologie der Gefühle sprechen, und wenn sie über Gefühle sprechen, in der terminologie der Ökonomie bleiben“. Der

Ka­pi­ta­lis­mus

wird sowohl aus marxistischer als auch psychoanalytischer (

Psy­cho­ana­ly­se

) Perspektive thematisiert. Für die szenische Umsetzung ihres Stücks schlägt sie vor, dass man es entweder „wie ein mittelalterliches Passionsspiel oder eben wie ein Brechtsches Lehrstück spielen“ sollte.

 

Rita Thiele: Genau hundert Jahre nach Ibsens NORA wurde dein Stück WAS GESCHAH, NACHDEM NORA IHREN MANN VERLASSEN HATTE ODER STÜTZEN DER GESELLSCHAFTEN uraufgeführt (1979). Warum hat dich dieses Stück von Ibsen so besonders beschäftigt? Weißt du das noch?

Elfriede Jelinek: Ich weiß es jetzt mehr als damals, kommt mir vor. Ich wollte ein Stück schreiben, das diese Geld- und Liebe-Metaphorik weiterführt, ein Stück, in dem die Ökonomie das Bestimmende ist. Mein entscheidendes Gestaltungsprinzip ist ja, daß die Leute, wenn sie über Geld sprechen, in der terminologie der Gefühle sprechen, und wenn sie über Gefühle sprechen, in der terminologie der Ökonomie bleiben. [...]

Was erwartet Nora? Ibsen läßt diese Frage offen. Aber wir sind 100 Jahre weiter als Ibsen und wissen ja, daß die Probleme für sie draußen nicht aufhören.

Naja, es ist halt wie in meinem Stück, und auch Frau Linde hat es ja vorexerziert. Sie hat nur die Möglichkeit, Prostituierte zu werden oder Gesellschafterin oder Kindermädchen oder in eine Fabrik zu gehen. Ich meine, als Marxistin muß ich natürlich die Vorherrschaft des Ökonomischen sehen, aber inzwischen sehe ich eben auch stärker, was die innere Authentizität einer Figur ausmacht. Und deswegen habe ich mit der sprachlichen Analyse begonnen, daß die Frauensprache das Authentische ist, weil die Frauen die Kinder die Sprache lehren, die Männer tun das ja im allgemeinen nicht.

aus: Rita Thiele: „Ich bin Nora aus dem gleichnamigen Theaterstück von Ibsen“. In: Programmheft des Wiener Burgtheaters zu Henrik Ibsens Nora oder Ein Puppenheim, 1997.

 

Rita Thiele: Stichwort Faschismus: warum hast du dein Stück in den zwanziger Jahren angesiedelt?

Elfriede Jelinek: Weil ich mir immer Umgebungen und Zeiten suche, wo ich meine Versuchsanordnungen sozusagen auf die Spitze treiben kann. Gerade in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren gibt es so etwas wie einen Zeitknoten, wo sich sehr vieles politisch, ökonomisch und auch emanzipatorisch vorbereitet. Es ist eine Zeit des Aufbruchs, verbunden mit der Arbeiterbewegung, mit der Emanzipationsbewegung, mit der Frauenwahlrechtsbewegung. Gleichzeitig können die ökonomischen Gegensätze gezeigt werden, die Zeit des beginnenden Faschismus, der ja auch, wie Ingeborg Bachmann sagt, in der Kleinfamilie und im Privaten entsteht, mit einem Ausblick auf die neuen Sündenböcke...

Auch die Zurück-an-den-Herd-Restauration, die mit der faschistischen Frauenpropaganda einsetzte...

Entscheidend ist, daß die Männer eben wissen müssen, daß sie sich selbst am schlimmsten ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie nicht freiwillig die Macht mit den Frauen teilen. Ich habe aus meiner NORA – sicher denunziatorisch – eine Komplizin gemacht. Für mich sind all die Frauen Komplizen der Macht, die nicht mit anderen Frauen solidarisch sind, sondern eben versuchen, durch die „Gnade“ der Männer etwas zu werden. Das ist ja immer schon mein Thema, auch in den LIEBHABERINNEN, gewesen, daß dann eben nur der Zufall darüber entscheidet, ob man Erfolg hat oder nicht.

Und außerdem habe ich mit meiner NORA auch an das Brechtsche Lehrstück anknüpfen wollen und hab’s auch deshalb in diese Zeit gesetzt. Ein Lehrstück könnte ich schwer in der unmittelbaren Gegenwart ansiedeln, weil heute die Gegensätze viel verwaschener sind; sie sind zwar noch da, aber da müßte ich wahrscheinlich stärker psychologisch differenzieren, und das ist nicht meine Sache.

aus: Rita Thiele: „Ich bin Nora aus dem gleichnamigen Theaterstück von Ibsen“. In: Programmheft des Wiener Burgtheaters zu Henrik Ibsens Nora oder Ein Puppenheim, 1997.

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