Gespräch mit Elfriede Jelinek

Nachweis

auch in:

 

Über die Figuren in ihren Texten als „Kleiderbügel, auf die ich die Sprache hänge“, die „kein Ich“ haben, da es in der gegenwärtigen

Ge­sell­schaft

eine Illusion sei, „individuelles Handeln überhaupt als möglich anzusehen“. Über die Anfänge ihres literarischen Schaffens und Schreibgewohnheiten (Orte, Arbeitszeiten). Ihr Schreiben sei „nicht ein Schöpfen aus etwas, das man erfahren hat, sondern ein Vermeiden des Lebens“. Zentrale Elemente ihrer

Schreib­ver­fah­ren

seien „das Lautliche, das Ausgehen vom Klang des Wortes“, das Sprachspiel, der Kalauer und das Arbeiten mit Trivialität (

Tri­vi­al­my­thos

). Pessimistisch äußert sie sich über die gesellschaftliche Situation (

Ge­sell­schaft

) der Frauen (

Frau

), die nach wie vor der „patriarchalen Normsetzung unterworfen sind“ (

Pa­tri­ar­chat

) und vergleicht weibliches und männliches (

Mann

) Sprechen und Schreiben. Am Beispiel ihres Romans

Lust

über das Spannungsfeld von Subjekt- und Objektstatus in der literarischen

Por­no­gra­fie

, die Frau als das Andere und

Se­xua­li­tät

als Machtfrage. Über

In­ge­borg Bach­mann

, ihre Lebensunfähigkeit und die verschiedenen Formen des künstlerischen Ausdrucks,

Ro­bert Wal­ser

und die Problematik von Übersetzungen ihrer Texte. Ihre Arbeiten verortet sie in der jüdischen (

Ju­den­tum

)

Schreib­tra­di­ti­on

Österreichs (

Ös­ter­reich

) und definiert die Sprache als „die einzige Waffe der Machtlosen“.

 

Hans Jürgen Heinrichs: Elfriede Jelinek, wenn Sie schreiben, auch rastlos in gewissem Sinne, fühlen Sie sich dann, im Umgang mit Ihren eigenen Figuren und mit Zitaten, in einer Art kommunikativer Situation, oder fühlen Sie sich einsam?

Elfriede Jelinek: Nein, es ist keine Kommunikation. Die Figuren wachsen mir auch nicht in dem Sinne ans Herz, daß ich mit ihnen leben würde. Die Figuren sind nur Kleiderbügel, auf die ich die Sprache hänge. Sonst habe ich kein sinnliches Anschauungsmaterial dafür. In den realistischeren Romanen wie „Die Klavierspielerin“ oder „Die Ausgesperrten“ habe ich schon eine Empathie und auch mit den Figuren gelebt, aber diese Ebene habe ich wieder verlassen. Es gibt keine Biographie, es gibt kein Ich; meine Figuren haben auch kein Ich, weil das individuelle Handeln mit dem Roman des 19. Jahrhunderts ein Ende hatte. Selbst wenn manche Kritiker das immer noch von den Autoren verlangen, ist das nicht mehr zu leisten. Es wäre auch eine Illusion, individuelles Handeln überhaupt als möglich anzusehen.

aus: Hans-Jürgen Heinrichs: Gespräch mit Elfriede Jelinek. In: Sinn und Form 6/2004, S. 760-783, S. 760.

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