Chirine Ruschig:Wie kommt eine Literatin dazu, die Rede zur Eröffnung eines psychoanalytischen Ambulatoriums zu halten?
Elfriede Jelinek: Ich stehe der Psychoanalyse freudianischer Ausprägung mit einer kritischen Distanz gegenüber.
Mein Interesse gilt der Theorie, die ja durch die Nazis in Österreich abgeschnitten wurde, einer Theorie, die von Anfang an von Juden getragen wurde. […]
Mein Wunsch ist, gerade in der bekannten politischen Situation in Österreich an etwas anzuknüpfen, das durch Emigration in alle Winde verstreut worden ist und eigentlich nach dem Krieg nie mehr Fuß fassen konnte.
Der eigentliche Skandal ist ja, dass Freud bis heute – obwohl der Fremdenverkehr und viele Ausstellungen sich immer wieder aus ihm beziehen – der große Unbekannte geblieben ist.
Man wirbt mit Freud auf Plakaten, wo er gerade in der Emigration in Paris ankommt, und man glaubt, er fährt mit dem Zug in die Sommerfrische auf den Semmering.
Diese Unverschämtheiten, die hier passieren, und die Tatsache, dass es bis heute keinen einzigen Lehrstuhl für Psychoanalyse in Österreich gibt und bis heute diese Technik vernachlässigt und verachtet wird – was man dem Land übrigens ansieht:
Dies alles hat mich dazu gebracht, diese Rede halten zu wollen.
aus: Ruschig, Chirine: Die Welt mit der Sprache neu bauen. Ein Gespräch mit Elfriede Jelinek über ihr Verhältnis zur Psychoanalyse . In: Der Standard (Album), 16.10.1999.
Kurzes Interview zum Thema
Psychoanalyse
anlässlich der Eröffnung des neuen psychoanalytischen Ambulatoriums in Wien, bei der sie die
Eröffnungsrede
hielt. Als Grund für ihre Rede nennt sie ihr persönliches Interesse an
Freuds
psychoanalytischer Theorie, die sich „das Erkennen durch Sprache [...] zum Ziel gesetzt hat“; sie kritisiert die Vereinnahmung von
Freuds
Person in
Österreich
und äußert sich besorgt über die politische Entwicklung (
Politik
) im Land.