Marie-Thérèse Kerschbaumer:Wie kamst du eigentlich dazu, Literatur zu produzieren?
Elfriede Jelinek: Durch den jetzigen Leiter des elektronischen
Studios der Akademie für Musik und darstellende Kunst, Dieter Kaufmann.
Der hat immer gedichtet, und wir lasen uns gegenseitig unsere Werke vor. Ich war sechzehn.
Mein erstes Gedicht schrieb ich mit sechs. Zum Muttertag.
Und wie tratst du so plötzlich ins österreichische Kulturleben ein?
Entdeckt hat mich Otto Breicha. Ich schickte ihm Gedichte und die
wurden knapp nach meiner Matura in den Protokollen (1968) veröffentlicht.
Und dann kamen die Preise?
Ja.
Und daneben studiertest du Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und machtest Orgelmusik und Komposition?
Darum bin ich mit 18 Jahren zusammengeklappt. Da war ich ein Jahr krank. Ich hatte eine Angstneurose und konnte nirgends alleine hingehen.
Da begann ich intensiv zu schreiben.
aus: Marie-Thérèse Kerschbaumer: Porträt einer jungen österreichischen Autorin (1971). In: Kerschbaumer, Marie-Thérèse: Für mich hat Lesen etwas mit Fließen zu tun... Gedanken zum Lesen und Schreiben von Literatur. Wien: Wiener Frauenverlag 1989, S. 144-147, S. 145.
Marie-Thérèse Kerschbaumer:Man hat die „Lockvögel“ einen Pop-Roman genannt…
Elfriede Jelinek:
Er ist in erster Linie die Bewußtmachung von Funktionen der Trivialliteratur, vor allem des
Illustriertenromans.
Was willst du damit erreichen?
Die Aufgabe meines „Illustriertenromans“ ist es, Führungsstrukturen aufzuzeigen, in denen
der Unterschied zum tatsächlichen Leser so groß gehalten wird, daß dieser Leser gar nicht auf
den Gedanken kommt, diese Führungsstrukturen zu zerstören und politische Ansprüche für sich zu
stellen.
Wie erreichst du die Bewußtwerdung dieser Vorgänge?
Durch Montage und Versetzung der Montage mit eigenem Textmaterial. Also Versetzung der
vorgefundenen Sprache mit meiner Individualsprache. Dadurch entsteht Bewußtmachung von
gesellschaftspolitischer Bedeutung im marxistischen Sinn.
aus: Marie-Thérèse Kerschbaumer: Porträt einer jungen österreichischen Autorin (1971). In: Kerschbaumer, Marie-Thérèse: Für mich hat Lesen etwas mit Fließen zu tun... Gedanken zum Lesen und Schreiben von Literatur. Wien: Wiener Frauenverlag 1989, S. 144-147, S. 146.
Über Biographisches (ihre Ausbildung und ihren literarischen Werdegang). Kurz über ihre
Schreibverfahren
– „Montage und Vernetzung der Montage mit eigenem Textmaterial“ –, auf die sie am Beispiel ihrer Romane
wir sind lockvögel baby!
,
bukolit
und
Michael
eingeht. Weiters über die Gründe, warum sie Marxistin ist und ihre Kritik an den Ausbeutungsmechanismen (
Ausbeutung
) in der gegenwärtigen
Gesellschaft
. Der Marxismus sei für sie die „einzige Möglichkeit, eine Gesellschaft zu errichten, wo es nicht Ausbeuter und Ausgebeutete gibt, sondern Kommunikation unter Gleichen“. Im Anschluss an das Interview folgt ein
Porträt
.