Ich lebe nicht. Gespräch mit der Schriftstellerin Elfriede Jelinek

Nachweis

auch in:

 

Ausgehend von ihren Romanen

Lust

und

Die Kla­vier­spie­le­rin

spricht sie über

Se­xua­li­tät

,

Por­no­gra­fie

und

Ma­so­chis­mus

, vergleicht unterschiedliche Formen männlicher und weiblicher

Ge­walt

(

Frau

,

Mann

) miteinander und konstatiert, dass sich ihre Kreativität vorwiegend aus negativen Emotionen speist. In

Lust

beschreibe sie „den Sex in Kreisen, in denen die Männer Macht haben und es gewohnt sind, daß man vor ihnen zittert“. Über ihre Persönlichkeit, Biographisches (ihre

Mut­ter

, ihren

Va­ter

und ihre

Ehe

(

Per­son

)) sowie Formen der öffentlichen Selbstdarstellung. Weiters über ihre Gründe für den Beitritt zur KPÖ. Im Zusammenhang mit ihrem Stück

Burg­thea­ter

über die Verstrickungen von KünstlerInnen (

Künst­ler

,

Künst­le­rin

) in den Propagandaapparat des

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

. Das Gespräch hatte Leserbriefe zur Folge, in denen

An­dré Mül­lers

Interviewstil kritisiert wurde.

Reaktionen

Reaktionen:

 

André Müller:Sie haben sich öffentlich als Masochistin bezeichnet.

Elfriede Jelinek: Schrecklich! Ich habe mich von Journalisten so oft ausziehen lassen.

Der Journalistin Sigrid Löffler gegenüber haben Sie es bedauert, daß Sie nicht lesbisch sind.

Ja, das stelle ich mir angenehm vor. Ich würde in der Sexualität gerne das Vertraute suchen, nicht immer den Gegensatz.

Für eine „Stern“-Fotografin haben Sie sich an ein Bett fesseln lassen.

Furchtbar, wenn mir eine Frau etwas sagt, tue ich das. Bei einem Mann hätte ich mich gewehrt.

Bekannt ist auch ihre Vorliebe, sich im Prostituiertenmilieu aufzuhalten.

Nein, also das ist stark übertrieben. Ich gehe ab und zu in diese Cafés, weil es mich beruhigt, völlig alleine in eine andere Welt einzutauchen. Aber ich bleibe auch dort Zuschauerin. Ich bin nicht jemand, der sich einläßt auf etwas. Ich sitze in diesen Bars als Touristin, die sich verirrt hat. […] Ich gehöre nirgends wirklich dazu.

Dann ist die Kunst der richtige Ort für Sie.

Meinen Sie?

Ja, weil Sie ihre Heimatlosigkeit in Sprache verwandeln können.

Das hilft mir wenig. Ich erlebe es immer wieder, daß eine Künstlerin, die Erfolg hat, für Männer monströs wird. Die Kunst entsinnlicht mich sozusagen. Ich werde zum Neutrum.

aus: André Müller: Ich lebe nicht. Gespräch mit der Schriftstellerin Elfriede Jelinek. In: Die Zeit, 22.6.1990.

André Müller: Ein Gespräch mit Ihnen muß mit dem Buch „Lust“ beginnen, Ihrem bisher größten Erfolg.

Elfriede Jelinek: Entsetzlich! Ich hasse es, über meine Bücher zu sprechen. Ich bin drauf gekommen, daß alles, was ich darüber gesagt habe, falsch ist.

Was zunächst auffällt, ist die schier unerschöpfliche Fülle an Wörtern, mit denen Sie das immer Gleiche des Geschlechtsakts beschreiben.

Ich habe versucht, ästhetisch zu fassen, wovon eine ganze Industrie, die Pornoindustrie, lebt, nämlich, daß in die Frau dauernd etwas hineingesteckt wird.

Besonders vielfältig ist das Vokabular, das Sie für das männliche Geschlechtsteil gefunden haben: Binkel, Kleintier, Zipferl, Zapfen, Bohrer, Schwengel, Fleischextrakt, Sprengkopf, Spargel, Hirtenspieß, Vogerl, Köter, Killerwal…

Klingt ja wie Ossi Wiener.

Eher karg ist dagegen Ihr Repertoire bei der Benennung weiblicher Attribute.

Ist mir gar nicht aufgefallen.

Ofen, Büchse, ranzige Ratte…

Unser junger Freund und Ästhet Rainald Goetz hat die Vagina ein faulendes, blutendes Loch genannt.

Möchten Sie einen anderen Körper haben?

Nein, also einen Schwanz möchte ich noch weniger haben. Am liebsten hätte ich gar nichts. Engel haben ja auch keine Genitalien. Ein körperloses Wesen möchte ich sein oder verbrennen wie ein Stück Seidenpapier.

aus: André Müller: Ich lebe nicht. Gespräch mit der Schriftstellerin Elfriede Jelinek . In: Die Zeit, 22.6.1990.

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