„Männer sehen in mir die große Domina“

stern, 8.9.1988

Nachweis

auch in:

  • La­hann, Bir­git

    :

    Lust statt Pornographie.

    Auszug

    In: Rowohlt Revue 21/

    1989

    , S. 4-5

    (Auszug, Titel: Lust statt Pornographie )

    .

 

Anlass für das Gespräch ist das Erscheinen des Romans

Lust

. Im Zuge dieses Interviews entstanden auch Fotos, auf denen sie an ein Bett gefesselt zu sehen ist; die Fotos wurden von ihr im Nachhinein zurückgezogen und nicht abgedruckt.

Im Gespräch geht es um Persönliches,

Se­xua­li­tät

und

Por­no­gra­fie

, sowohl allgemein als auch im Zusammenhang mit

Lust

. Über ihren Versuch, mit

Lust

einen antipornographischen Gegenentwurf zu

Ba­tail­les

Geschichte des Auges zu schreiben. Es ging ihr darum, „den Blick auf das Obszöne nicht aus männlicher, sondern aus weiblicher Sicht zu zeigen“ (

Frau

,

Mann

). Pornographie definiert sie als Darstellung der „Frau als Hure“ und „Freigabe zu Quälereien, zu Erniedrigungen und ihre Lust daran“. Eine große Schwierigkeit an der sprachlichen Konzeption des Romans bestehe darin, dass „es für eine Frau nicht möglich ist, darüber zu sprechen, ohne in die Sprache der Männer zu fallen“. Weiters über de Sade,

Ge­walt

,

Fe­mi­nis­mus

und den

Ka­tho­li­zis­mus

.

 

Birgit Lahann: […] Warum wollten Sie keine Kinder haben?

Elfriede Jelinek: Ich selbst? Ich kann darüber eigentlich kaum sprechen. Für mich war es immer klar, daß ich keine Kinder wollte, weil ich gespürt habe, daß eine Frau durch Kinder einen großen Teil ihrer Souveränität aufgeben muß. Und dazu war ich nicht bereit. Sicher auch aus Egoismus, aber mehr noch, weil ich sehe, daß Kinder die Frauen aushöhlen.

Also eine Verweigerung.

Ja, es ist wirklich eine Verweigerung. Ich will alles tun, um ein Subjekt zu sein. Ich will nicht aus mir ein anderes Wesen herauspressen, um das ich mich dann kümmern muß.

aus: Birgit Lahann: „Männer sehen in mir die große Domina“. In: stern, 8.9.1988.

Birgit Lahann:Wie definieren Sie Pornographie?

Elfriede Jelinek: Pornographie ist nicht das Beschreiben von Vögeleien oder das Beschreiben von nackten Leuten, die irgendwas miteinander machen. Pornographie ist die Darstellung der Frau als Hure. Also ihre Freigabe zu Quälereien, zu Erniedrigungen und ihre Lust daran.

Die Lust haben die Männer, und den Frauen fehlen die Worte?

Ich habe gemerkt, daß es für eine Frau nicht möglich ist, darüber zu sprechen, ohne in die Sprache der Männer zu fallen.

Haben Sie trotzdem beim Schreiben Ihrer Geschichte Vergnügen gehabt? Lust?

Ja. Ich habe auch bei der „Klavierspielerin“, wo es ja auch die sogenannten „Stellen“ gibt, Lust empfunden. Aber ich habe jetzt versucht, die Konsumierfreude an der „Lust“ gleichzeitig zu unterbinden durch ästhetische oder sprachliche Fallen, die ich einbaue. Die „Lust“ soll nicht konsumiert werden wie kommerzielle Pornographie. Sie soll durch ästhetische Vermittlung sozusagen dem Leser ins Gesicht zurückschlagen. Genauso wie in dem Hitchcock-Film „Das Fenster zum Hof“. Das ist ein gutes Beispiel. Es zeigt den Voyeur, aber gleichzeitig wird in diesem Voyeur der Voyeurismus der Zuschauer im Kino entlarvt. Das ist so ein ästhetischer Doppeltrick. Sie werden das ja beim Lesen gemerkt haben.

aus: Birgit Lahann: „Männer sehen in mir die große Domina“ . In: stern, 8.9.1988. DN

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