„Ich mag Männer nicht, aber ich bin sexuell auf sie angewiesen“

Nachweis

  • Löff­ler, Sig­rid

    :

    Ich mag Männer nicht, aber ich bin sexuell auf sie angewiesen. Elfriede Jelinek sprach mit Sigrid Löffler über Pornographie und Anti-Pornographie, die Sprache des Obszönen, den Haß und das Altern. In: profil,

    28.3.1989

    .

auch in:

 

Über ihr Vorhaben, mit

Lust

einen „weiblichen Porno“ (

Por­no­gra­fie

) zu schreiben und eine „weibliche Sprache für das Obszöne“ zu finden. Sie habe jedoch erkannt, dass „eine Frau, diesen Anspruch nicht einlösen kann“, weil „die Männer die pornographische Sprache mehr als jede [...] für sich usurpiert haben“ (

Frau

,

Mann

). In der nun entstandenen Anti-Pornographie gehe es darum,

Se­xua­li­tät

als einen Akt der Gewaltausübung (

Ge­walt

) zu zeigen. Auch über den Kindesmord am Ende des Romans, die Rezeption ihrer Texte in

Ös­ter­reich

sowie die Beziehung zu ihrer

Mut­ter

und ihrem

Va­ter

. Kritisch äußert sie sich darüber, dass „kreative und intellektuelle Leistung die Frau als sexuelles Wesen abwerten“.

 

Sigrid Löffler: Sie haben in einer dpa-Umfrage, woran Schriftsteller gerade arbeiten, „Lust“ als „weiblichen Porno“ angekündigt. Stehen Sie jetzt, wo das Buch fertig ist, noch dazu?

Elfriede Jelinek: Das ist ein Grundmißverständnis. Das war damals wirklich mein Plan, einen weiblichen Porno, einen weiblichen Gegenentwurf zu Georges Batailles „Geschichte des Auges“ zu schreiben. Ich wollte eine weibliche Sprache für das Obszöne finden. Aber im Schreiben hat der Text mich zerstört – als Subjekt und in meinem Anspruch, Pornographie zu schreiben. Ich habe erkannt, daß eine Frau diesen Anspruch nicht einlösen kann, zumindest nicht beim derzeitigen Zustand der Gesellschaft.

Warum soll eine Frau keinen Porno schreiben können?

Wenn sie es könnte, dann müßte es in der Literatur ästhetisch gelungene Pornographie von Frauen geben. Die gibt es aber nicht. Anais Nin und Erica Jong sind uninteressant, weil sie beide Henry Miller, also den männlichen Blick nachahmen. Die einzige ästhetisch geglückte weibliche Pornographie ist die „Geschichte der O“ von Pauline Réage, wobei ich glaube, daß ein Mann zumindest daran mitgearbeitet hat. [...]

Ihr Roman ist in der österreichischen Provinz angesiedelt, wo sie am ausweglosesten ist, und er beschreibt die bürgerliche Ehe in ihrer neuen Ausweglosigkeit, nämlich in der Zwangs-Treue des Aids-Zeitalters.

Um es auf den Punkt zu bringen – es geht in meinem Roman nicht mehr um Pornographie, sondern um Anti-Pornographie. Ich zeige, daß die Sexualität, wie sie sich im konventionellen Rahmen eines ehelichen Besitzverhältnisses abspielt, selbst Gewaltausübung ist, und zwar Gewalt des Mannes gegen die Frau.

Ihre Heldin Gerti – wenn man dieses ständig gedemütigte und benützte Besitzstück ihres Ehemannes überhaupt „Heldin“ nennen kann – scheint aber die Gewalt nicht nur als Folter zu empfinden. Jedenfalls geht sie eine zweite Beziehung ein, zu einem viel jüngeren und noch gewalttätigeren Mann. Warum das?

Ich wollte zeigen, daß die Frau in dem Augenblick, wo sie aktiv ein Objekt für ihre Begierde sucht – mit Freud gesagt: im Augenblick der phallischen Anmaßung der freien Objektwahl –, damit das Begehren des Mannes am sichersten auslöscht. Das Tragische ist, daß die Frau ihr Begehren nicht realisieren kann. Ihr Begehren löscht sein Begehren aus. Dahinter steckt der auch ökonomische Mechanismus, daß der Mann das, was er haben kann, nicht haben will.

aus: Sigrid Löffler: Ich mag Männer nicht, aber ich bin sexuell auf sie angewiesen . In: profil, 28.3.1989.