Veronica Kaup-Hasler, Claus Philipp:Ist so eine Wahl konkreter Orte und Räume auch Resultat eines Bedürfnisses nach einer konkreten Basis für das sprachliche „Abheben“ in deinen Texten?
Elfriede Jelinek: Ja, nach einem Raum, den es tatsächlich gibt, der aber gleichzeitig das Fremde ist, also das Unheimliche. Das Unheimliche der Heimat ist ja immer ein Thema für mich, nicht nur für mich, gewesen. Die Wälder und auch diese Wildnis dort rund um die Krampen, zumindest für mich ist das ja im Grunde wirklich das Ende der Welt. Und das hat mich immer herausgefordert. In den 50er-Jahren gab’s da noch Fremdenverkehr und Tourismus. Jetzt ist es eine tote Region, wie viele in der Steiermark. […]
Gab es sowas wie ein Urbild oder so einen Startmoment, an den du dich erinnern kannst, wo du dieses monumentale Buch zu schreiben begonnen hast? Waren die Dimensionen von vornherein klar?
Nein. Ursprünglich weißt du ja nicht, dass das so ein Riesenbuch wird. Du planst vielleicht 200 Seiten und plötzlich fängt es an, sich selbst zu schreiben. Das ist bei all meinen Büchern so gewesen. Dass du dann auch keine Macht mehr drüber hast, letztlich. Also mich würde es nicht interessieren, einen Plan zu machen – dieses Kapitel, jenes Kapitel, und was wird aus der oder der Figur…
Du schreibst nie eine kompositorische Skizze?
Niemals. Niemals. Sonst interessiert es mich nicht, sonst langweilt es mich einfach. Der Text muss mich sozusagen wie ein Hund an der Leine hinter sich herzerren. Und ich kann dann nur schreibend nachrennen.
aus: Veronica Kaup-Hasler, Claus Philipp: „Die Steiermark hasse ich am allerwenigsten“. Veronica Kaup-Hasler und Claus Philipp im Gespräch mit Elfriede Jelinek . In: herbst. Theorie zur Praxis 2017, S.66-69, S. 66-67.
Abdruck eines Ausschnitts aus dem Video-Interview
„Die Steiermark hasse ich am allerwenigsten“
, das
Veronica Kaup-Hasler
und
Claus Philipp
mit Jelinek für den
Schwerpunkt
des steirischen herbstes 2017 zu
Die Kinder der Toten
führten; über ihre Beziehung zur Steiermark (
Nationalsozialismus
,
Person
,
Vergangenheitsbewältigung
).