„Wir leben auf einem Berg von Leichen und Schmerz.“

Nachweis

auch in:

  • Be­cker, Pe­ter von

    :

    „Ausradiert“. Jelinek contra Eschberg.

    gekürzt

    In: Frankfurter Rundschau,

    5.9.1992

    (gekürzt, Titel: „Ausradiert“. Jelinek contra Eschberg )

    .

  • Be­cker, Pe­ter von

    :

    Jelineková, Elfriede: o divadle, o sobě, o hře Totenauberg

    gekürzt

    In: Divadelní noviny,

    19.1.1993

    (auf Tschechisch, gekürzt, Titel: Jelineková, Elfriede: o divadle, o sobě, o hře Totenauberg )

    .

 

Interview über die Buchausgabe von

To­ten­au­berg

und die kommende Uraufführung des Stücks am

Wie­ner Aka­de­mie­thea­ter

. Es war ihr sehr wichtig, dass das Stück in

Ös­ter­reich

uraufgeführt wurde, weil die „klerikal-alpine Verlogenheit“ (

Ka­tho­li­zis­mus

) und „die Ideologie des Wintersports, die den Hintergrund des Stückes bildet, nirgendwo anders so verstanden wird“ (

Tou­ris­mus

). Über die Bezüge zu

Han­nah Are­ndt

und

Mar­tin Heid­eg­ger

im Stück. Auch über

Lust

, die Arbeiten von

Ber­tolt Brecht

,

Tho­mas Bern­hard

,

Pe­ter Hand­ke

und

Hei­ner Mül­ler

sowie ihre

Schreib­ver­fah­ren

und

Thea­ter­äs­the­tik

. Am Theater interessiere sie die „Idee des Ortes, wo man Sprache und Figuren öffentlich ausstellen kann“, ein „Ort der allergrößten Wirklichkeit und der allergrößten Künstlichkeit“. Ihre Figuren bestehen für sie „nur aus Sprache“.

 

Peter von Becker:Das Aufeinandertreffen von Philosoph und Schülerin, von Mann und Frau löst sich nun auf in einem breiten Panorama, in dem die Konfrontation zwischen beiden keine dominierende Rolle mehr spielt; in dem auch der Alte Mann H. niemanden mehr zu dominieren vermag, weil alle Figuren ziemlich gleichwertig nebeneinander auftreten und ihre Reden halten, ihre Sprache(n) sprechen.

Elfriede Jelinek: Es ist bewußt nicht konfliktuell aufgelöst. Vieles spielt nebeneinander hinein, auch die angewandte Ethik von Singer, der rechte Rand der Grünen-Bewegung: daß das, was biologisch nicht „gesund“ ist, auch zerstört werden kann. Panorama ist gut gesagt. Die einzelnen Sprachflächen ergeben einen großen Zusammenhang, wie ein Sittenbild – so hätte man früher dazu gesagt. Es tritt jeder in seiner gewissen Heiligkeit auf, spricht, spricht sein Anliegen, und dadurch daß die Textflächen sehr groß sind, kann nicht wie üblich ein rascher Wechsel stattfinden, in dem man Konflikte austragen könnte. Es bildet den Rundhorizont meiner Resignation. Weil ich resigniert habe, daß politische Ziele, daß überhaupt Ziele außerhalb von einem selbst zu haben noch einen Sinn macht, habe ich das ganze wie in Aspik gegossen und eingefroren. Nichts hat mehr die Schärfe, daß daraus noch ein produktiver Konflikt entstehen könnte. Es ist eher ein Zeichen der Trauerarbeit. „Totenauberg“ ist im Grunde ein Requiem. Wie der Name sagt: Wir leben auf einem Berg von Leichen und von Schmerz. Es ist ein Requiem auch für den jüdischen Teil meiner Familie, von dem viele vernichtet worden sind. 51 Personen – das sind nur die, die gezählt wurden. Das Stück ist ein Ausdruck meiner Trauer, und daher auch die gewisse Feierlichkeit beim Sprechen. Der witzige Schlagabtausch ist nicht mehr möglich. Auch keine wütende Auseinandersetzungen. – Es haben übrigens nach dem Krieg noch mehrere Treffen zwischen Heidegger und Hannah Arendt stattgefunden.

aus: Peter von Becker: „Wir leben auf einem Berg von Leichen und Schmerz.“ In: Theater heute 9/1992, S. 1-8, S. 8.