Pia Janke:„Das Lebewohl“ ist ein Theatertext zur aktuellen politischen Lage Österreichs. War es Ihre Intention, literarisch möglichst rasch auf die politischen Entwicklungen zu reagieren, und läuft man mit so einem schnellen Text nicht Gefahr, das Ästhetische zugunsten einer vereinfachenden politischen Stellungnahme zu vernachlässigen?
Elfriede Jelinek: Ich schreibe alle meine Texte immer sehr schnell. Es ist eine Methode, mit raschen Strichen etwas von außen zu umkreisen und einzufangen. Dieser spezielle Text ist keine politische Stellungnahme, sondern, wie immer bei mir, weil ich unfähig bin, etwas sozusagen „auf den Punkt zu bringen“, wie es z.B. Antonio Fian mit seinen Dramoletten tut, eine Zustandsschilderung. Wir können da natürlich keine Realismusdebatte führen, aber ich bemühe mich schon, für bestimmte Inhalte auch spezifische ästhetische Methoden zu finden, die aber immer von der Sprache selbst ausgehen. Etwas „beim Genick“ zu fassen, also gedanklich zuzuspitzen, das kann ich nicht. Ich muss es aus der Sprache selber entstehen lassen, und mit diesen Aufzeichnungen Haiders hat sich mir die Sprache ja wirklich in die Hand gegeben, ein Geschenk des Himmels, so etwas bekommt man nicht oft. [...]
Es scheint, als würde es in Ihrem neuen Theatertext, im Gegensatz zu anderen, eine wirkliche, greifbare Figur geben. Lässt sich dieses „Ich“ als Jörg Haider definieren?
Notgedrungen kann man dieses Ich als Haider definieren, er hat ja die eine Sprachebene vorgegeben, er läuft sozusagen als Orgelpunkt immer mit, egal, was gesagt wird. Vielleicht ist das ja ein echter Bühnenmonolog, im Gegensatz zu meinen andren Monologen, die meist viel künstlicher sind, abstrakter, und bei denen das Denken führt, oft in Form von Montagefetzen – ich literarisiere sozusagen Theorie – aber nicht das wirkliche Nachdenken über etwas. Der Text markiert eine Zeitenwende.
Sehen Sie die Situation in Österreich heute als Anbruch einer neuen Zeit? Es handelt sich bei all dem, was jetzt passiert, doch nicht um völlig neue Entwicklungen.
Ja, Zeitenwende... es ist vielleicht ein hochtrabender Ausdruck, zu pathetisch, aber es ist etwas geschehen, das niemand von uns für möglich gehalten hätte. Dass gerade in einem der Täterländer die extreme Rechte wieder an die Macht kommt. Es ist zumindest mir unvorstellbar erschienen, dass das möglich sein könnte. Aber gerade indem man es mit der Zeitenwende, die Aischylos’ Atridendrama markiert, zusammenbringt, entfaltet es seine ganze Lächerlichkeit und Banalität und dadurch vielleicht noch mehr Schrecken, als wenn man es in der Banalität beließe. Es ist, frei nach Marx, Tragödie und Farce in einem. Man greift zu kurz, wenn man es nur eine Farce nennt, weil es natürlich auf den ersten Blick danach aussieht, aber es ist eben auch eine Tragödie.
aus: Pia Janke: Tragödie und Farce in einem. In: Der Standard, 17./18.6.2000.
Aus Anlass der Uraufführung von
Das Lebewohl
am Wiener Ballhausplatz; neben der Person
Jörg Haiders
(
Haider, Jörg
) über ihr Aufführungsverbot, ihre
Schreibverfahren
sowie sprachliche und methodische Aspekte ihres Textes.
Haiders
Rhetorik beschreibt sie als eine „Nichtsprache“, die „redet, aber nichts sagt“. In ihrem Text, der „Tragödie und Farce in einem“ ist, laufe diese Sprachebene „sozusagen als Orgelpunkt immer mit, egal, was gesagt wird“.