Brandopfer der Freizeit. Zur Premiere: Gespräch mit Elfriede Jelinek über ihr Kaprun-Stück

Nachweis

auch in:

  • Pie­ken­b­rock, Ma­ri­et­ta

    :

    „Ich habe das Bedürfnis, die Erde wegzukratzen“. In: Frankfurter Rundschau,

    4.10.2002

    (Titel: „Ich habe das Bedürfnis, die Erde wegzukratzen“ )

    .

  • Pie­ken­b­rock, Ma­ri­et­ta

    :

    „Ich habe das Bedürfnis, die Erde wegzukratzen“. In: Programmheft des Bremer Theaters zu Elfriede Jelineks

    2003

    (Titel: „Ich habe das Bedürfnis, die Erde wegzukratzen“ )

    .

 

Aus Anlass der Uraufführung von

In den Al­pen

an den

Münch­ner Kam­mer­spie­len

; über

Hei­mat

, die österreichische Geschichte (

Ös­ter­reich

) und den eingearbeiteten

Ce­lan

-Text Gespräch im Gebirg . Es gehe ihr darum, dem Heimatbegriff seine Unschuld zu nehmen. An den

Ce­lan

-Intertexten interessiere sie „die Fremdheit dieser Sprache“, durch die „ein völlig neuer Sprachduktus“ in den Text hineinkommt.

 

Marietta Piekenbrock:„In den Alpen“ – ein trügerischer Titel oder doch ein Heimatroman?

Elfriede Jelinek: Im weitesten Sinn sind fast alle meine Texte Heimattexte, weil ich mich eben so an meiner lieben Heimat abarbeite [...]. Ich nehme diesem Heimatbegriff seine Unschuld. Vielleicht ist das überhaupt der Anstoß zum Schreiben bei mir: den scheinbar unschuldigen Dingen wie Sex, Sport, Freizeit ihre Unschuldsmaske herunterzureißen. Österreich ist nach der Katastrophe der Nazi-Zeit sehr rasch wieder zu dieser Unbeflecktheit des Schnees und der Berge zurückgekehrt. Ich habe das endlose Bedürfnis, die Erde wegzukratzen und den Untergrund, auf dem diese Lift- und Jausenstationen gebaut sind, bloßzulegen.

War Ihnen, als Sie die Bilder von Kaprun sahen, spontan klar, dass es sich um ein charakteristisches „Jelinek-Ereignis“ handelt?

Ja, ich habe sofort gewusst, dass ich etwas über diese Katastrophe schreiben würde. Es geht nicht darum, dass Katastrophen mich „aufgeilen“. Das wäre wirklich verwerflich. Ich sehe in diesen Katastrophen immer das Exemplarische. Ich grabe sozusagen den Schutt und den Ruß weg und gerate unter die Erde, dorthin wo die Toten dieses Landes begraben sind. Das ist ja entscheidend an der nationalen Identität Deutschlands wie Österreichs. Sie ist weniger auf die großen Toten ihrer Geschichte gegründet als auf das Nichts, auf die Toten, die diese Länder erzeugt haben.

aus: Marietta Piekenbrock: Brandopfer der Freizeit. Zur Premiere: Gespräch mit Elfriede Jelinek über ihr Kaprun-Stück. In: Münchner Merkur, 2./3.10.2002.