Ich wollte diesen weissen Faschismus

Nachweis

 

Über die in

Wol­ken.Heim.

verwendeten Zitate (vor allem

Höl­der­lin

als „Rhythmusgeber“ und die

Fich­te

-Sequenzen über

Deutsch­land

) und über die österreichische (

Ös­ter­reich

) Sprache. Die Verarbeitung der Zitate beschreibt sie als „eine Art Amalgamierung“, die erstaunlicherweise eine „homogene Textfläche“ ergeben hat.

 

Elfriede Jelinek: Eigentlich ist es ein Theatertext, geschrieben ein Jahr bevor die Rede war von Maueröffnung und Wiedervereinigung und „Wir sind ein Volk“. Was mich daran verblüfft hat, ist der Umstand, dass das Deutsche jetzt, zum Erscheinungsdatum des Buches, plötzlich eine so beängstigende Aktualität bekommt. Ich hatte mich immer schon beschäftigt mit dem Deutschen, und zwar – das klingt jetzt etwas absurd – aus einer völligen Fremdheit heraus, auch zugegebenermassen aus einer Fremdheit und Faszination heraus. [...] wollte mir eigentlich einmal über diese Faszination klar werden, indem ich das Deutsche oder einige seiner typischen Repräsentanten selbst habe sprechen lassen. Die Sprache selbst spricht ja auch nicht nur aus dem Mund dessen, der sie spricht, sie hat ein Eigenleben und spricht auch ihren Sprecher.

Walter Vogl:Wovon haben Sie sich denn bei der Auswahl der von Ihnen verwendeten Texte leiten lassen? Wie haben Sie so verschiedene Autoren wie Kleist und die RAF miteinander verknüpft?

Rhythmusgeber ist Hölderlin. Das ist derjenige, der den Sprachrhythmus, den Takt liefert, also das mächtige Metronom, das das Ganze immer wieder antreibt. Der deutsche Idealismus wäre ohne Hölderlin nicht möglich gewesen, gleichzeitig hat er ihn auch überwunden – also sozusagen der Triumph der Dichtung über die Philosophie – und deswegen ist er derjenige, der den Pulsschlag für diesen Text angibt. Und dann kommen noch einige wuchtige Deutsche – natürlich Idealismus: Hegel und Fichte –, Kleist, ausschliesslich aus den Dramen, nicht aus der Prosa, natürlich Heidegger und die Briefe der RAF als eine Fortsetzung des deutschen Idealismus mit anderen Mitteln. Die paar Stellen, die ich gefunden habe in den RAF-Briefen haben ein erstaunliches, fast hymnisches Sendungsbewusstsein, das sich durchaus mit Hölderlin und auch mit dem Ernst und der Schwere Heideggers in Übereinstimmung bringen lässt. Entscheidend ist aber, dass ich diese Texte ja zum Teil auch manipuliert habe, zwar nicht sinngemäss verändert, aber mit winzigen Veränderungen eigentlich meiner Sprache angepasst und eine Art Amalgamierung vorgenommen habe. Das hat eine erstaunlich homogene Textfläche ergeben, was ich mir vorher selbst nicht vorstellen konnte, die man aber nie lesen kann ohne diesen Raster der deutschen Geschichte, den man ja in seinem Gehirn hat.

aus: Walter Vogl: Ich wollte diesen weißen Faschismus . In: Basler Zeitung, 16.10.1990.