Warum Wut?

Nachweis

 

Über

Wut

, die Terroranschläge auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris 2015 (

Ter­ro­ris­mus

,

An­ti­se­mi­tis­mus

), über

Ge­walt

und die westliche Gesellschaft (

Po­li­tik

), die Wehrmachtssoldaten (

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

), das Töten als männliches Phänomen (

Mann

),

Sig­mund Freud

und den Islamischen Staat (

Psy­cho­ana­ly­se

,

Is­lam

).

 

Zeynep Bozbay:Waren Sie wütend, als Sie das Stück geschrieben haben?

Elfriede Jelinek: Ja, ich bin leider fast immer wütend. Und das ist nicht immer zielführend, eigentlich nie. Nicht Liebe macht blind, das macht schon die Wut, und das ist auch ja eins der Themen, die das Stück behandelt. Wut und Zorn. Zorn ist eine zielgerichtete Leidenschaft (der Zorn des Achill!), Wut ist etwas, das einen überschwemmt, und gegen das man sich nicht wehren kann, eigentlich unproduktiv. Für mich ist sie vielleicht ein diffuser Raketenantrieb (letztlich paradox), um überhaupt zu schreiben, also eine Art gesellschaftlicher Frustration in die Aggression des Schreibakts umzuwandeln. Aber natürlich spielt auch der Zorn seine Rolle, sonst würde ich ja nur sinnlos um mich schlagen.

Warum Wut?

Das Thema lag natürlich schon aufgrund jener ersten Ereignisse von Paris nahe, von denen das Stück handelt: der Überfall auf die Redaktion von Charlie Hebdo und der zweite auf den jüdischen Supermarkt. Doch als ich das Stück geschrieben habe, habe ich mir nicht vorstellen können, daß es zu einem solchen Massenmord wie diesen Herbst im Bataclan und an anderen Pariser Orten kommen könnte. […]

Julia Riedler:Ist Ihr Text „Wut“ Kriegsliteratur?

Ich kann nicht sagen, ob dieser Text Kriegsliteratur ist. Es sind Kriegsberichte darin enthalten, ja, aber das müssen andre definieren. Der Text gibt nur wieder, was an Ungeheuerlichkeiten geschehen ist. Sowohl im alten Mythos der tragischen Figur Herakles, der für seine Wut und seinen Zorn nichts kann, weil die Göttin das über ihn verhängt hat. Er selbst, als Individuum, hätte diese Morde, die im weiteren Sinn Selbstmorde sind – mit seiner Frau, mit jedem seiner Kinder bringt er sich ja selbst um – nie vollbracht. Und in dieser rasenden Wut zählen die guten Taten, die er getan hat, nichts. Das ist die Tragödie. Das ist der Krieg gegen ihn selbst, gegen sich selbst. Die Antike kennt kein individuelles Schicksal, es wird alles über Menschen und ihre Herrscher von den Göttern verhängt. Die Mörder (und Mörderinnen!) z.B. in Ruanda mit ihren Macheten, die sind ganz fröhlich wieder zurückgekommen, so wie die Deutschen SS-Männer und auch einfache Wehrmachtssoldaten mit ihren blutigen Stiefeln wieder nach Hause zurückgekehrt sind. Nur wenige mußten sich verantworten, und diese hatten nur wenig zu befürchten. Im inversen, umgekehrten Sinn kennen Sie, die lachenden Mörder (das Gegenteil des lachenden Vagabunden aus einem bekannten Schlager der Nachkriegszeit), das Tötungstabu nicht, und wenn sie es kannten, konnten sie es recht schnell auβer Kraft setzen.

Annette Paulmann:Theweleit beschreibt in Das Lachen der Täter letztlich aber vor allem den fragmentierten männlichen Körper und die Sehnsucht ihn im Töten wiederherzustellen. Können Sie sich erklären, warum diese Lust am und während des Tötens vor allem ein männliches Phänomen ist?

Wie gesagt, in Ruanda haben auch Frauen, ganz junge Mädchen sogar, gemordet. Und das war ein Morden nicht auf Distanz, wie mit der Kalaschnikow, sondern es wurden unvorstellbare Gräueltaten direkt am Menschen begangen. Ich habe von Theweleit nur diese Stellen übernommen, die eigentlich von Milo Rau kommen, der das recherchiert hat, denn ich hätte keine Sprache dafür gehabt und mußte mir die Originalsprache der TäterInnen sozusagen leihen, ausborgen, aneignen, so wie ich es ja öfter mache. Wenn mir die Worte fehlen, haben dafür andere welche.

aus: Zeynep Bozbay, Annette Paulmann, Julia Riedler: „Warum Wut?“ . In: Programmheft der Münchner Kammerspiele zu Elfriede Jelineks Wut , 2016.