Sabine Treude:Wir feiern – wiewohl verfrüht – heute die Jahrtausendwende, wobei auffällt, daß das letzte Jahrhundert und seine Grausamkeiten offensichtlich gänzlich in Vergessenheit geraten soll.
Elfriede Jelinek: Ja, es fängt etwas Neues an. Wie die Lossprechung von den Sünden – das ist gleichzeitig der Ablaß, und nicht von ungefähr ist es auch ein heiliges Jahr. Der Papst hat die Pforte geöffnet, und man kann Ablässe erwerben wie vor Luthers Zeiten. Man kann sich sozusagen von den Sünden lossprechen – und es fängt endlich was Neues an. Die junge Generation will ja auch nichts mehr von diesen ollen Kamellen wissen. Ich jedenfalls bleibe in diesem Jahrhundert zurück.
Man kann also resümierend sagen, daß wir nichts aus diesen Fehlern gelernt haben und auch nicht bereit sind, dies künftig zu tun?
Ja, als wären wir geschichtslos – die absolute Geschichtslosigkeit. Wir stehen politisch schlimmer da als zur letzten Jahrhundertwende. Ich bin da sehr pessimistisch.
aus: Sabine Treude: Ich bin da sehr pessimistisch. Ein Gespräch mit Elfriede Jelinek über die vermeintliche Jahrtausendwende . In: Volksstimme, 7.1.2000.
Über die politische Lage in
Österreich
und die Situation als Schriftstellerin angesichts der aktuellen Entwicklungen. Sie äußert sich über ihre Rede
„Terror der Normalität“
bei der
Demonstration
am Stephansplatz am 12.11.1999 und reflektiert ihre ambivalente Rezeption in Österreich, die zwischen Kanonisierung und offenem Hass pendelt. Anlässlich der niederländischen Übersetzung ihres Romans
Die Kinder der Toten
über die Schwierigkeiten, ihre Texte in andere Sprachen zu übertragen, und über ihre Suche nach adäquaten
Schreibverfahren
für ihre Kritik an der österreichischen
Politik
, über Sprachkritik und Sprachskepsis. Kritisiert wird die
Fremdenfeindlichkeit
und
Jörg Haider
(
Haider, Jörg
). Die Jahrtausendwende, die
Philosophie
Martin Heideggers
und die Trilogie
Macht nichts
werden kurz angesprochen.