Pluskurs:War das ein Schock, Ihren Namen auf dem Plakat zu lesen? […]
Elfriede Jelinek: Ja. Es war auch ein Schock, daß von den Kollegen fast keine Solidarität gekommen ist. Das war für mich persönlich eine der schlimmsten Erfahrungen. […]
Warum stehen Sie Ihrer Meinung nach auf dem Plakat?
Ich weiß es nicht. Ich glaube, es könnte auch ein Turrini oder ein Gerhard Roth dort stehen, die haben sich sogar mehr als ich in den letzten Jahren politisch geäußert und das auch eindeutiger. Ich habe eher immer Literatur geschrieben, die Herren haben doch mehr in Zeitungen publiziert. Nein, ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht haben sie gespürt, daß hinter mir wenige stehen. Als Frau ist man erwiesenermaßen schon einmal wesentlich exponierter. Man traut uns nicht zu, daß wir uns künstlerisch artikulieren können. Sie haben wirklich darauf gezählt, daß ich keine Solidarität zu spüren bekommen werde.
aus: N. N.: Gespräch in Wien, 16.12.1995. In: Identität 1995/96, unpag.
Dieses ausführliche Interview bezieht sich auf den unmittelbar vor dem Gespräch abgedruckten Jelinek-Essay
Wir, Herren der Toten
, der im Kontext der Nationalratswahl 1995 in Hinblick auf die FPÖ (
Freiheitliche Partei Österreichs
) und Jörg Haider (
Haider, Jörg
) neue Aktualität erlangte. Sie kritisiert die Entwicklung der
Politik
in
Österreich
, den zunehmenden
Rassismus
und
Antisemitismus
und stellt Überlegungen zur nationalen Identität des Landes an. Identität sei „nicht etwas Starres, was einer gegen den anderen schützt [...], sondern ist an sich schon verschieden“. Kritisch beleuchtet wird auch die
Vergangenheitsbewältigung
, der Umgang mit den Verbrechen des
Nationalsozialismus
und dem Holocaust (
Judenvernichtung
,
Nationalsozialismus
) in Österreich. Über die Plakataktion der FPÖ im Wahlkampf 1995 und die mangelnde Solidarität der SchriftstellerkollegInnen. Weiters über ihre
Schreibverfahren
und den Theatertext
Raststätte oder Sie machens alle
.