An uns selbst haben wir nichts (1991)

Abdrucke

auch in:

 

Rede bei der

De­mons­tra­ti­on

gegen

Frem­den­feind­lich­keit

am 8.11.1991. Titelgleichheit mit

Je­lin­eks Es­say

(1993) für das Buch von Lisl Ponger. KZ-Überlebende hätten gesagt, dass das erste Anzeichen ihrer Vernichtung (Holocaust (

Ju­den­ver­nich­tung

),

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

) ihre Vertreibung aus dem „gesunden Volkskörper“ gewesen sei, als seien sie eine

Krank­heit

, die diesen

Kör­per

bedrohe. Die Ausgrenzung und Isolation des Anderen sei der erste Schritt zu totalitärer Herrschaft, die am Ende alles verschlinge, auch die, die nach ihr gerufen haben. Schon

Han­nah Are­ndt

habe gezeigt, dass die Übermacht des Ökonomischen (

Ka­pi­ta­lis­mus

) zu einer Entwertung von Menschenrechten und der Ausgrenzung aller, die anders sind, führe.

 

Die Ausgrenzung und Isolierung des Anderen, das man nicht mehr als ein Wesen wie man selbst eines ist, zu erkennen vermag, ist der erste Schritt in die Katastrophe totalitärer Herrschaft, die am Ende dann alle verschlingt, auch diejenigen, die am lautesten nach ihr geschrien haben. Die einen wie die anderen, die angeblich nicht so sind wie die Einen und daher Einzigen. Das Fremde, das da zu uns kommt, kann dann nicht mehr als Bereicherung unserer Kultur erkannt werden, sondern nur noch als Bedrohung unseres sogenannten Wohlstands, der uns doch nur kranker macht, unserer gesunden Kinder, die unser eigener Warenschutt fast schon erstickt hat, unserer lächerlichen Errungenschaften, die uns bis zum Hals in den Müll gesetzt haben. Und dort sitzen wir jetzt, schauen heraus und brüllen unausgesetzt, daß wir den Dreck alleine genießen wollen, teilen wollen wir nicht, nein, nein. Wir verfallen hartnäckig dem Irrglauben, der, die Fremde mache uns nicht reicher dadurch, daß er oder sie sich zu uns gesellt und eine von uns wird. Wir glauben, sie wegschicken zu müssen, bevor sie uns was wegtragen und vielleicht uns selbst dazu, Gott bewahre! Was haben wir denn schon…

aus: Elfriede Jelinek: An uns selbst haben wir nichts . In: Salto, 22.11.1991.

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Essayistische Texte, Reden und Statements