Wollte Claire Felsenburg etwas an uns weitergeben, damit wir es weitersagen,
und zwar gerade damit es nicht mehr vorkommen möge? Was sie auch wollte, das
kommt jetzt alles bei uns an, aber Claire erlebt es nicht mehr. Sie ist gestorben. Sie
ist nicht mehr hier. Ihr Leben hat sich entschieden, aber vorher hat sie selbst noch
entschieden, daß man ihr Leben irgendwie begreifen sollte, indem man das von
anderen begriffe. Wenn man sie gefragt hat, warum sie das alles niedergeschrieben
habe, hat sie geantwortet, daß sie damit ihrer Mutter, die von den Nazis im KZ umgebracht
worden ist, und ihrer Familie, vor allem ihrer jüngsten Schwester Lotte,
die das KZ überlebt hat, was soll das heißen: überlebt? Man kann es im Grunde
nicht überleben, und ich darf so etwas, das jeder Beschreibung spottet, gar nicht
einfach so hierhin schreiben, also Claire hat dann gesagt, sie wollte für ihre überlebende
Familie ihre Kindheit und Jugend aufschreiben und damit ihrer Mutter, ihrer
Familie, eine Art Denkmal setzen. Keinesfalls sich selbst. Auf keinen Fall. So und
so war es halt.
aus: Elfriede Jelinek: Das flüchtige Jetzt .
In: Felsenburg, Claire: Flüchtlingskinder. Erinnerungen. Hg. u. bearbeitet von Rosemarie Schulak und Konstantin Kaiser. Wien: Theodor Kramer Gesellschaft und Aktionsradius Augarten 2002, S. 7-15, S. 9.
Vorwort;
Claire Felsenburg
, deren Erinnerungen in dem Buch publiziert sind, war die Frau des Onkels von Jelinek.
Felsenburg
schildert das Flüchtlingsleben als Kind in Wien-Brigittenau und die neuerliche Vertreibung im Jahr 1938 (
Österreich
,
Nationalsozialismus
, Holocaust (
Judenvernichtung
)).