Das Werk

für Einar Schleef, posthum

Uraufführung am Akademietheater Wien, 2002. Foto: Burgtheater Wien / Christian Brachwitz

Abdrucke

Erstdruck (= Buchausgabe):

Teilabdruck:

Abbildung der zweiten Seite des Typoskripts

DVD

Aufführungen

Preis

Jelinek erhielt für Das Werk in der Inszenierung von

Ni­co­las Ste­mann

2004 den

Mül­hei­mer Dra­ma­ti­ker­preis

. Die Wiener Inszenierung wurde daraufhin zu den

Salz­bur­ger Fest­spie­len

2004 eingeladen.

 

Das Werk , das Gegenstück zu Jelineks Theatertext

In den Al­pen (2002)

, thematisiert den Bau des Speicherkraftwerks Kaprun, das zu einem Symbol des österreichischen Wiederaufbaus nach 1945 wurde (

Ös­ter­reich

,

Po­li­tik

). Der seit den 1920er Jahren in Angriff genommene Bau, dessen Spatenstich 1938 durch

Her­mann Gö­ring

erfolgte, wurde mithilfe von Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern errichtet. 1956, ein Jahr nach der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags, wurde das Kraftwerk fertiggestellt und eröffnet.

Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes vorangestellt:

„Bitte jetzt vor den Vorhang:

Ernst Jün­ger

,

Wil­helm Mül­ler

(der vom

Schu­bert

),

Her­mann Grengg

und sein Tauernwerk,

Os­wald Speng­ler

,

Cle­mens M. Hut­ter

und seine Geschichte eines Erfolgs,

Eu­ri­pi­des

und seine Troerinnen (übers.:

Kurt Stein­mann

) und danke,

Mar­git Rei­ter

Das Stück ist

Ei­nar Schle­ef

gewidmet, der Jelineks Theatertext

Ein Sport­stück (1998)

am

Wie­ner Burg­thea­ter

uraufgeführt hatte und auch Das Werk inszenieren sollte, jedoch zuvor starb. Der Text ist in zwei Teile und einen Epilog gegliedert, lange Teile, auf Gruppen aufgeteilte Texte und chorische Passagen wechseln einander ab. Gesprochen werden die Passagen von SprecherInnen, die Namen aus Märchen und Kinderbüchern haben, wie Heidi und Geißenpeter, Hänsel und Tretel, oder als Personifizierungen von Natur wie Baum, Schneeflöckchen und Weißröckchen ausgewiesen sind. Der Epilog wird von Müttern (

Mut­ter

) gesprochen, die um ihre verstorbenen Söhne trauern.

Im Zusammenhang mit dem Bau des Kapruner Speicherkraftwerks als Symbol des wiedererrichteten und nur scheinbar unschuldigen Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg (

Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung

) thematisiert der Text u.a. die Beherrschung von

Na­tur

durch

Tech­nik

zum Zwecke der Profitmaximierung (

Ka­pi­ta­lis­mus

) sowie die

Aus­beu­tung

der

Ar­bei­ter

und lenkt den Blick auf die Opfer des Kraftwerkbaus: die Kriegsgefangenen zur Zeit des

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

, die als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Intertexte, die u.a. verarbeitet wurden, sind

Ernst Jün­gers

Der Arbeiter (1932), Das Tauernkraftwerk Kaprun (2002) von

Mar­git Rei­ter

,

Cle­mens M. Hut­ters

Kaprun. Geschichte eines Erfolgs (1994),

Her­mann Grenggs

Das Tauernwerk (1961),

Os­wald Speng­lers

Der Untergang des Abendlandes (1923) und Die Troerinnen von

Eu­ri­pi­des

(

An­ti­ke

).

 

 

„Das Werk“: In Kaprun steht auch eins der größten Speicherkraftwerke der Welt, eine fast beispiellose Herausforderung der Natur an die Technik, sich über sie zu setzen, die Wasser in drei gigantischen Stauseen zu fassen und in die Turbinen zu werfen, damit das „Land am Strome“ (Bundeshymne) mit Strom versorgt werden kann. Die Herausforderung des Gebirges, es zu melken, um Maschinen anzutreiben und die Technik voranzubringen.

Schon in den zwanziger Jahren wurde mit dem Bau begonnen, in der Nazizeit wurde (Spatenstich: Hermann Göring) intensiv weitergebaut, zuerst mit Freiwilligen, dann mit Zwangsarbeitern und schließlich auch mit Kriegsgefangenen, vor allem Russen. Die Zwangsrekrutierten wurden in allen besetzten Gebieten und im Protektorat zusammengefangen (in „Fangaktionen“), zum Teil im Osten buchstäblich aus ihren Alltagsbeschäftigungen herausgerissen oder von ihren Dorfältesten, die eine vorgegebene Quote zu erfüllen hatten, ausgeliefert und zum Bau gezwungen. Unter extremen Bedingungen, wie sie im Gebirge herrschen, mit unzureichender Ernährung und Ausrüstung. Die offizielle Todeszahl bei diesem Kraftwerksbau ist 160. Das sind aber nur die Toten der Nachkriegszeit, und da waren die Arbeiter, darunter damals auch viele ehemalige Nazis, die nirgendwo sonst Arbeit gefunden hätten, schon besser ausgerüstet. Die Zahl der Toten liegt insgesamt sehr viel höher. Ich habe in diesem Stück, das dem verstorbenen Einar Schleef gewidmet ist, versucht, etwas über „den“ Arbeiter zu schreiben. Der Sportler wie der Arbeiter sieht in den Bergen einerseits Herausforderung, andererseits Arbeitsgerät. Die einen betätigen sich zum Spaß an den Bergen (und können schrecklich scheitern), die anderen vollbringen ein monströs-gigantisches Aufbauwerk. Ein Gutteil der österreichischen Identität nach dem Krieg, als das Land rasch wieder für frei und unschuldig erklärt wurde, beruhte auf dieser technischen Großleistung. Kaprun wurde mit Geldern des Marshall-Plans im Jahr des Staatsvertrags 1955 fertiggestellt und zog einen langen Rattenschwanz an nationalen Mythen hinter sich her, die aber buchstäblich auf den Gebeinen und der Ausbeutung von Getöteten beruhten, und die Getöteten wurden der Natur geopfert, sehr viele starben ja durch Lawinen. Sie starben direkt wie indirekt durch die Natur, während die Gletscherbahntouristen durch die Technik in der Natur starben.

aus: Elfriede Jelinek: Nachbemerkung . In: SB In den Alpen 2002, S. 253-259, S. 257-258.

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