Der Fleischermesser

Abdrucke

Je­li­nek, El­frie­de

:

Der Fleischermesser. In: Programmheft des Berliner Ensembles zur Uraufführung von Monsieur Verdoux (nach einem Film von Charlie Chaplin)

1997

.

 

Analyse des Films Monsieur Verdoux von

Char­lie Chap­lin

, in dem der Protagonist, der arbeitslose Bankbeamte Henri Verdoux, reiche Witwen heiratet, sie ermordet und sich ihr Geld aneignet; der Film sei eine Tragikfarce.

 

Da man Menschen nicht auf die Bank legen oder sich selbst gewinnbringend anlegen kann wie die Mutter ihr Kind an die Brust, muß man diese Menschen eben vorher in etwas anderes umwandeln, in ihre pure Substanz aus Blut, Haut und Knochen. Jeder würde denken: das bringt nun wirklich nichts. Ja, aber Monsieur Verdoux macht es schließlich nicht zum Vergnügen, er arbeitet am Körper, seinem Material, um etwas Materielles daraus herauszupressen; und dann muß er ja auch noch Häuser, Möbel, Grundstücke zu Geld machen, er muß Aktien und Obligationen und auch den allseits beliebten Schatz unter der Matratze flüssig machen, wie man sagt, also er muß aus Festem etwas machen, das einen anderen Aggregatzustand hat. Von der Muttermilch über das Anlegen zum Profit. Aber er wackelt manchmal etwas mehr als der lebendige Mensch, aus dem er ursprünglich herausgeschnitten wurde. Monsieur Verdoux verliert im Börsenkrach alles wieder, was er so mühevoll aus menschlichem Fleisch mittels Umwandlung gewonnen hat.

aus: Elfriede Jelinek: Der Fleischermesser . In: Programmheft des Berliner Ensembles zur Uraufführung von Monsieur Verdoux (nach einem Film von Charlie Chaplin), 1997.

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