El Castillo (El Castillo, 1986)

Cover des Sammelbands, 1986

Abdrucke

 

Fer­nan­do Sil­va

, geboren 1927 in Granada, verbrachte seine Kindheit in der Urwaldregion des Rio San Juan. Diese Umgebung beeinflusste sein literarisches Schaffen (Gedichte und Erzählungen). Sein erster, 1952 erschienener Gedichtband Barro en la Sangre übte einen großen Einfluss auf die Literatur Nicaraguas aus.

Jelineks Übersetzung von

Fer­nan­do Sil­vas

Gedicht El Castillo erschien 1986 in der zweisprachigen Anthologie Unter dem Flammenbaum . Die Anthologie versammelt neben den Werken renommierter SchriftstellerInnen aus Nicaragua auch im Rahmen von Dichterwerkstätten entstandene Gedichte.

Jelinek erstellte die Übersetzung auf Basis von Vorarbeiten des Journalisten

Wer­ner Hört­ner

. Das Gedicht bezieht sich auf die sandinistische Revolution in Nicaragua 1978-79. Durch den Verweis auf die örtliche Kommandostelle der Nationalgarde kontextualisiert der Text die über weite Strecken dominierenden Beschreibungen von

Na­tur

mit Assoziationen militärischer

Ge­walt

(

Krieg

). Der Sprachrhythmus, die Satzkonstruktionen und die unterschiedlichen Einrückungen der einzelnen Verszeilen wurden in der Übersetzung beibehalten.

 

El Castillo
In El Castillo. Eineinhalb Tage weit von San Carlos
mit dem Paddelboot
jetzt da der Sommer alles reinigt
mit den hellen Nächten
und hoch die Sonne mittags über den Bäumen
das Blattgrün leuchten läßt
und die gelben Fieberbäume
wie Kuppeln aus Gold über den Hügeln
und die Callianderbäume mit den eingerollten Blüten
aufgehängt an den Enden der Zweige
und die Morazeen mit den großen weißschimmernden Blättern
und die Zedern mit den Lianen
und die Wiesen dunkelviolette Meere
und die Reiher am Ufer zwischen dem hohen Goldbartgras
und den Moskitos. Riesige Moskitos
die mit ihren langen Beinen über das Wasser gleiten
und am Fuß die Staustellen
wo die Blätter sich einwirbeln
und die Königsbarsche
und die Eichkätzchen Früchte naschend
und Martin Pescador der kleine Reiher mit dem Fächerschwanz
auf einem Zweig die Beute belauernd […]
in El Castillo
einem kleinen Hafen mit einer kolonialen Festung
in Ruinen und einer einzigen gekrümmten Straße
und Holzhäusern
und die Aborte über dem Fluß
und eine Brücke mit Schienen
und eine Kirche ohne Ziegel
die Heiligenbilder von Motten zerfressen
und eine alte Bretterhütte mit dem Gang draußen
und einem Geländer
und einem Schild:
„Armee-Kommandostelle-Nationalgarde,
Zoll und Telegraphenverwaltung“ i.A.
aus: Fernando Silva: El Castillo Ü: Elfriede Jelinek. In: Grazer Autorenversammlung / Verein Slowenischer Autoren Österreichs (Hg.): Unter dem Flammenbaum. Gedichte aus Nicaragua. Wien: Europaverlag 1986, S. 72-73.

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