Fastnacht (La mi-carême, 1898)

Abdrucke

Erstdruck:

  • Fe­ydeau, Ge­or­ges

    :

    Eine Novelle von Feydeau. Fastnacht („La mi-carême“). In: Programmheft des Wiener Burgtheaters zu Georges Feydeaus Der Floh im Ohr

    1997

    .

 

Die Novelle La mi-carême wurde in Georges Feydeaus Nachlass gefunden und erschien 1898 im IV. Band der Werkausgabe der Éditions Garnier. Sie war vor Jelineks Übersetzung noch nie ins Deutsche übertragen worden. Jelinek übersetzte die Novelle im März 1997 für das Programmheft des Wiener Burgtheaters zu Karlheinz Hackls Inszenierung von Feydeaus

Floh im Ohr

.

Stilistische Charakteristika der Übersetzung sind die großteils wortwörtliche Übertragung der Vorlage und die genaue Wiedergabe des Sprachrhythmus. Die Novelle erzählt vom

Tod

einer Wäscherin, die während einer Fastnachtfeier in Paris von einem Bus überfahren wurde. Das von Trauer und Schmerz gezeichnete Gesicht ihres Gatten wird von einer komischen Karnevalsmaske verdeckt.

 

Es ist Fastnacht.

Riesiges Menschengetümmel auf dem Boulevard. Dort draußen durchqueren grinsende Masken das Gewühl, jede von ihnen triumphierend. Das Gewimmel der Menge setzt ihnen drängend und schiebend nach. Diese ganze menschliche Masse redet unaufhörlich ohne je zuzuhören, schreit, fällt übereinander her oder beschimpft sich gegenseitig. Ein dumpfes Gelärme erhebt sich in die Lüfte, das in die Stille deiner verschlossenen Wohnung eindringt. Während der rauhe Ton der Hörner dich trifft wie ein verzweifelter Hilfeschrei.

Na los! Jeder muß sich wohl oder übel von so etwas mitreißen lassen, und schon bald findest du dich eingekeilt in der Menge wieder. Ganz Paris will heute seinen Spaß.

Einen Moment bist du verblüfft! Die Menge ist dermaßen ineinander verkeilt, daß du beim Einordnen ganz schön Mühe hast. Verdammt, du bist nicht kostümiert! Kein Wunder, daß du nicht beachtet wirst!

Stolz und würdevoll, mit der Selbstgefälligkeit eines berühmten Hauptdarstellers, der sich seines Werts bewußt ist, führt dieser lustig Maskierte seine Verkleidung, welche aus ein paar alten Fetzen in grell buntscheckigen Farben besteht, mit goldenem Flitter drauf, damit es nach was aussieht, durch die Menge spazieren. Ein paar Gassenjungen folgen ihm, applaudieren seinem Erfolg und stoßen, unter Luftsprüngen, Bewunderungsschreie aus, die seiner Eigenliebe natürlich schmeicheln. Dann kommt schon die nächste Maske. Eine noch schönere, und schon ist er weg vom Fenster. Der Mückenschwarm umflattert sofort das noch hellere Licht, und mit einem Mal sind all die Bewunderer fort. Er ist neugierig, zeigt es aber nicht, sondern setzt ruhig und gemessen seinen Weg fort und schon bald hat er wieder neue Bewunderer um sich geschart, eine neue Schar Höflinge, ebenso unbeständig wie die vorherigen.

aus: Georges Feydeau: Fastnacht . Ü: Elfriede Jelinek. In: Programmheft des Wiener Burgtheaters zu Georges Feydeaus Der Floh im Ohr , 1997. (Beginn)