Ich liebe Österreich

Uraufführung im Container vor der Wiener Staatsoper, 2000. Paul Poet: Ausländer raus! Schlingensiefs Container, 2002. Filmstill

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Aufführungen

 

Jelineks Text entstand im Rahmen von

Chris­toph Schlin­gen­siefs

Aktion Bitte liebt Österreich – Erste österreichische Koalitionswoche bei den Wiener Festwochen 2000. In der Zeit der EU-Sanktionen (

Eu­ro­päi­sche Uni­on

) gegen

Ös­ter­reich

aufgrund der ÖVP-FPÖ-Regierungsbildung errichtete

Schlin­gen­sief

neben der Wiener Staatsoper einen am Big Brother -Format orientierten container mit der Aufschrift „Ausländer raus“, einem Transparent der

Kro­nen Zei­tung

und einer Fahne mit dem Logo der FPÖ (

Frei­heit­li­che Par­tei Ös­ter­reichs

). Zwölf AsylwerberInnen wurden im container von Kameras gefilmt, die das Geschehen ins Internet übertrugen. ZuseherInnen konnten per Televoting entscheiden, welche InsassInnen abgeschoben werden sollten. Die Aktion provozierte große Proteste und einen Skandal. Jelinek war am 14.6.2000 im container zu Gast. Aus Texten der AsylantInnen (

Flucht

) montierte sie das Kasperltheaterstück Ich liebe Österreich , das am selben Tag von den AsylantInnen im container mit Handpuppen aufgeführt wurde. Als Mitarbeiter am Text führt Jelinek

Ma­rio Rau­ter

an. Elemente des Kasperltheaters hat Jelinek bereits in ihrem Hörspieltext

Kas­perl und die di­cke Prin­zes­sin oder Kas­perl und die dün­nen Bau­ern

verarbeitet.

Der Text Ich liebe Österreich thematisiert den Umgang mit AsylantInnen,

Frem­den­feind­lich­keit

und

Ras­sis­mus

in der österreichischen

Po­li­tik

und den Ideologiegehalt des Begriffs

Hei­mat

. In den Textsequenzen der aus dem Kasperltheater bekannten Figuren – Kasperl, das Krokodil, der König, der Teufel – wird auf die damaligen österreichischen ÖVP- und FPÖ-PolitikerInnen

Wolf­gang Schüs­sel

,

Hei­de­ma­rie Un­ter­rei­ner

,

Jörg Hai­der

(

Hai­der, Jörg

) und auf den Bundespräsidenten

Tho­mas Kle­stil

Bezug genommen. Eine Ausnahme bilden die Asylantin Gretl, der niemand helfen will und die vom Krokodil gefressen wird, sowie der Polizist, der den Kasperl am Ende des Stücks abführt. Ein im Stück verarbeiteter Intertext ist auch

Schlin­gen­siefs

Einakter Freiheit für alle – 3. internationaler Kameradschaftsbund .

 

Krokodil: Ich bin Frau Magister Heidemarie Unterreiner. Morgen komme ich und esse Menschen.
Gretl: Bitte helfen Sie mir, ich liebe österreichische Menschen.
Krokodil: Ich bin Frau Magister Heidemarie Unterreiner. Ich wollen einen schönen Tag. Und alles österreichische Menschen.
Gretl: Ich will sein frei weil das Welt ist und alle haben recht.
Krokodil: Ich bin Frau Magister Heidemarie Unterreiner. Mein Ein und Alles, mein Jörg, hat rechts.
Kasperl: Ich bin endlich Bundeskanzler. Ich liebe Menschen – fürchtet euch nicht. Ich möchte ein Schauspieler werden, jetzt bin ich schon ein Schauspieler.
Gretl: Bitte helfen Sie mir, ich liebe Österreich.
Kasperl: Ich bin Bundeskanzler. (aggressiv) Bitte nichts als raus.
Gretl: Ich lebe gern alles. Das ist ein schöner Tag. Bitte helfen Sie mir, ich liebe Österreich.
Krokodil: Ich möchte positiv leben in Österreich. Ich wollen nicht raus, Sie müssen raus. Alles raus! Alles raus! Ich bin idealistisch.
Gretl: Ich will nicht negativ Kampf, wir haben viel Schmerzen mit alles, das wir hier haben in Österreich.
Kasperl: Ich bin kein Ausländer. Ich habe eine schöne Frau geheiratet. Bitte helfen Sie mir nicht.
Gretl: Ich helfe Ihnen schon, denn ich nix wollen Krieg – wir sind alles Menschen.
Krokodil: Ich bin Frau Magister Heidemarie Unterreiner. Guten Morgen. Bitte kommen Sie zum Essen. Bitte seien Sie mein Essen. Ich möchte bitte Mann!
Gretl: Meine Heimat ist eine Welt. Ich komme aus der Welt.
Kasperl: Aber nicht aus meiner.
Gretl: Ich brauche einen Reisepaß von einer Welt. Ich will Arbeit.
Teufel: Ich bin Bundesländerchef. Sie können nicht arbeiten.
Gretl: Ich kann kein Essen kaufen.
Teufel: Sie müssen nicht essen. Sie sind nicht aus China.
Gretl: Ich möchte in Österreich bleiben. Ich möchte Arbeit.
Krokodil: Bitte, danke! Bitte, danke! Bitte, danke! (frißt Gretl)
Kasperl: Ich liebe Österreich.
Gretl:(aus dem Off) Bitte helfen Sie mir!
König: Ich bin euer Bundestommy. Ich liebe österreichische Menschen. Ich wollen nichts Krieg. Alles Menschen, nichts Lärm. Alles österreichische Menschen. Ich wolle sie gut Wetter, gut, schön Tag.
Kasperl und Krokodil: Wir brauchen nichts als Menschen. Wir leben in Europa mit Europäern. Unser größter Wunsch ist, Schauspieler zu werden. Bitte helfen Sie uns zu dieser Möglichkeit. Danke!
Teufel: Bitte kommen Sie in die Hölle zum Essen. Ich möchte Arbeitsbewilligung. Ich bin ein junger Mann. Ich habe Hände und kann arbeiten.
Krokodil: Ich will nicht denken, Caritas mir immer helfen. Ich will nicht denken. Ich habe Essen. Ich habe gutes Schlafen.
Teufel: Ich habe gute Helfer, aber ich brauche sie nicht.
Polizist: Ich habe Hände, ich will arbeiten. (führt sie ab)
Alle gemeinsam: Mein Gott, der arme Wolfgang! (Bis keiner mehr Lust hat)
Elfriede Jelinek: Ich liebe Österreich. In: Lilienthal, Matthias / Philipp, Claus (Hg.): Schlingensiefs Ausländer raus. Bitte liebt Österreich. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 151-152. (gesamter Text)

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