(Stöhnen) Glühendschön mein Körper in der Muschel, wie soll ich ihn noch mehr loben? Er entsteigt. Ich und mein Körper gehören zusammen, und jetzt will er plötzlich weg aus der Muschel, will leben, will fort vom Ruf,
der Gestalt annimmt, will weg von den Düften, die von meiner Persönlichkeit ausgerufen werden. Bleib, du Körper, bleib bei mir! Gut, du gehst fort. Aber nicht ohne mich, sonst müßte ich ja auch gehn. Ich habe was Zwingendes an mir. Bleib!
Ihr mit dem frischen Aussehn, das mir nacheifert: Seid nicht so schön wie ich! Ich: sei schöner! Ohne meinen Körper wäre ich nicht mehr da. Darin besteht ja gerade meine Persönlichkeitsstruktur. Sei in mir zu Hause, Körper, nein, umgekehrt,
sei in deinem Körper total zu Hause, Claudia! Bleib, Claudia! Bleib, Körper! Diese schöne Muschel, der ich Venus entsteige, nachdem ich sie mit Mut bestieg, in ihr will ich mich und meinen Körper miteinander denken lassen. Zu zwein. Dürfte
ich mit dir vielleicht einer Meinung sein, Körper? Ich speichere Worte in dir. Ich speichere Kleider auf dir. Geh nicht fort! Bitte schließen auch Sie die Tür nicht vor mir! Sonst haben Sie nämlich keine Chance mehr, mich und Körper zu sehen!
Denken Sie nicht nur an mich, denken Sie auch an mein Werk, bitte! Ich habe mir doch dieses tolle Haus auf Mallorca bauen lassen, damit ich meine Probleme hineinlegen kann. Ich habe keine Probleme. Man braucht meinen Körper nicht, um dieses
Haus schön zu finden, über Ungeschicklichkeiten an seiner Fassade sehen Sie bitte hinweg. Schön mein Körper, der sich zeigt, der Muschel entsteigt, wie eine kaum vom Nebel verschleierte Gegend. Finden Sie nicht? Aber hallo. Hier wird nicht besetzt,
hier ist besetzt! Hallo! Hochpolitisch mein Denken, hochgradig nervös mein Handeln, hochmodern meine Kleidung, Hochleistung mein Körper. Der gibt was her. Der gibt nichts her. Es ist ein Zusammenspiel von mir und ihm.
Elfriede Jelinek: Körper und Frau. Claudia.
http://www.elfriedejelinek.com/fkoerper.html (15.1.2014), datiert mit 10.7.2001 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Archiv 2001, Theatertexte). (Beginn)
Körper und Frau war ein Auftragswerk des
schauspielfrankfurt
und wurde von Jelinek für die Eröffnung der Spielzeit 2001/02 unter der neuen Intendanz von
Elisabeth Schweeger
geschrieben.
Körper und Frau ist ein absatzloser Text, dessen Untertitel Claudia auf das Model
Claudia Schiffer
verweist und laut Regieanweisung von einem Tonband aus einer verschlossenen Klokabine eingespielt werden soll. Die Stimme spricht über ihren
Körper
, durch den sie sich von anderen Frauen (
Frau
) abhebt, und über
Mode
. Auf der Jelinek-Website ist dem Text ein Bild von
Claudia Schiffer
aus der
Vogue
vorangestellt.
Bei der
Uraufführung
im Rahmen von Mit vollem Munde. Ein literarisches Bankett wurde der Text während des gesamten Abends – gemäß der Regieanweisung – auf der Damentoilette vom Tonband (mit der Computerstimme Karlchen) in Endlosschleife gespielt.
Ernst M. Binder
montierte in seiner
Inszenierung 2002
Passagen aus anderen Jelinek-Texten dazu, aus
Der Wanderer (2001)
,
Totenauberg (1992)
,
Ein Sportstück (1998)
und dem Essay
Mode (2000)
.
Binders
Inszenierung von Körper und Frau bildete einen Teil seiner Trilogie Wer will allein sein: Eine Untersuchung .