o. T. (Essay 1982; über Frauenliebe – Männerleben)

Abdrucke

auch in:

 

Zu ihrem Hörspieltext

Frau­en­lie­be – Män­ner­le­ben

(1982); über die Bezüge des Hörspiels zu

Schu­manns

Liedzyklus Frauenliebe und -leben (

Mu­sik

). Ausgehend vom Ehepaar (

Ehe

)

Ro­bert

und

Cla­ra Schu­mann

über den Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen (

Ge­sell­schaft

) an die Geschlechterrolle und der

Frau

als

Künst­le­rin

.

 

Der Titel ist eine Paraphrase auf Schumanns Liederzyklus „Frauenliebe und -leben“. Clara Schumann war die bedeutendste Pianistin des 19. Jahrhunderts. Sie wurde von ihrem Vater dazu herangezogen. Er hielt sie auch zum Komponieren an, was eine Frau nur selten kann. Dann traf die Liebe zu Robert Schumann auf Clara. Aus diesem Zusammenstoß gingen acht Kinder hervor sowie die fortschreitende Geisteskrankheit Roberts, der in der Irrenanstalt von Endenich starb. Die acht Schwangerschaften, deren Produkte fast alle in jungen Jahren schon kaputtgingen (umsonst die Mühe!), hinderten Clara am weiteren Komponieren. Clara erklärte jedem, der es hören wollte, daß eine Frau für das Schöpfen von Musik nicht geeignet sei. Nur mein Robert ist göttlich! Wenn die Frau aufgrund eines körperlichen Mangels, nämlich der (damals oft unfreiwillig ausgeübten) Fähigkeit, Kinder zu gebären, auf ihre Kreativität verzichten muß, erklärt sie den Schöpfungsakt als einzig dem Mann zukommend. Sie war mit ihrem Spiel die eigentliche Erhalterin der Familie. Robert untersagte ihr das zu ihrem Broterwerbe nötige Üben auf dem eigens angeschafften zweiten Klavier, damit er nicht beim Erfinden von Musik gestört werde. Claras guter Ausgleich für all diese kleinen Mißlichkeiten: die Anbetung von Robert Schumanns Genie. Zum Zeitpunkt des Hörspiels ist Robert aber schon tot, was ihn aber nicht hindert, sehr lebendig zu sein. Er kichert irr im mondänen „Baur au Lac“ in Zürich herum, wo seine Gattin beim noch berühmteren Virtuo-Komponisten Franz Liszt das Geld aufzutreiben gedenkt, das den Aufenthalt in der Wahnsinnsanstalt plus der neuesten Symphonie Roberts – einer bloßen Fiktion, da der Meister zum Komponieren längst geistig ungerüstet ist – finanzieren soll... Als Schumann allerdings nichts anderes einfällt als Claras Geniebegriff der absoluten Originalität ad absurdum zu führen, indem er Beethovens Fünfte als eigenes Werk ausgibt, reißt Clara die Geduld und sie bringt ihn rasch um.

Elfriede Jelinek: o. T. In: SWF Baden-Baden (Hg.): Hörspiele Sommerhalbjahr 1982, S. 76.

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Essayistische Texte, Reden und Statements