Schwarzwasser

Uraufführung am Burgtheater Wien, 2020. Foto: Burgtheater Wien / Matthias Horn

Abdrucke

Erstdruck (= Buchausgabe):

Aufführungen

 

Anlass von Schwarzwasser war die sogenannte Ibiza-Affäre: mit versteckter Kamera wurden die FPÖ-Politiker (

Frei­heit­li­che Par­tei Ös­ter­reichs

)

Heinz-Chris­ti­an Stra­che

, damaliger Vizekanzler von

Ös­ter­reich

, und

Jo­hann Gu­de­nus

bei geheimen Verhandlungen mit einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte auf Ibiza gefilmt. Die Veröffentlichung von Ausschnitten des Videos führte zum Misstrauensantrag gegen die Regierung von Kanzler

Se­bas­ti­an Kurz

und zu Neuwahlen (

Po­li­tik

).

Der Theatertext setzt sich mit der Idealisierung von

Se­bas­ti­an Kurz

zur Heilsfigur, dem

Rechts­po­pu­lis­mus

, aber auch mit der Klimakrise (

Aus­beu­tung

,

Na­tur

), der Fridays-for-Future-Bewegung und dem NSU (

Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Un­ter­grund

auseinander (

Frem­den­feind­lich­keit

). Einige Motive sind den veröffentlichten Ausschnitten aus dem Ibiza-Video entnommen: der Verkauf des österreichischen Wassers, von Zeitungen (

Kro­nen Zei­tung

) und Straßen. In Anlehnung an die aus dem Ibiza-Video bekannten Aussagen

Stra­ches

und

Gu­de­nus

’ wird auch die Abwertung der

Frau

als Sexualobjekt thematisiert.

Der Text besteht aus drei, durch Leerzeilen gegliederte Teile und ist nicht auf SprecherInnen aufgeteilt. Er beginnt mit dem Vorspiel im Himmel. Ein Mann schreddert Klopapier, das auf die datenvernichtungs-Affäre rund um einen ÖVP-Mitarbeiter anspielt. Danach beginnt mit So, und jetzt aber wirklich! Egal, wer das sagt der mittlere, umfangreichste Teil, in dem Passagen aus des

Wol­ken.Heim.

-Zusatztextes

Und dann nach Hau­se (2004)

weiterverarbeitet und um aktuelle Kontexte wie die Inszenierung

Se­bas­ti­an Kurz

’ als Messias und die Klimakrise erweitert wurden. Im letzten Drittel folgt ein Botenbericht, eingeleitet von der Überschrift Bote, wo nehmen wir den jetzt plötzlich her? Na, irgendeiner wird sich schon finden .

Mythisch überhöht werden die verarbeiteten Ereignisse durch das Aufgreifen von Euripides’ Bakchen (

An­ti­ke

). Auch Schriften von

Re­né Girard

sind eingearbeitet, zentrale Motive sind dabei die wiederkehrende

Ge­walt

und der Opferkult.

Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:

„Etwas

Re­né Girard

bitte sehr, hatte ich noch vorrätig und eingerext.

Und natürlich Euripides: ‚Die Bakchen‘, hab ich mir aus dem Netz gezogen, den Übersetzer können Sie selber nachschlagen, bevor ich mich schlagen lasse vor dem Palast des Pentheus zu Theben, vor dem Treiben des Dionysos und der Bakchen, die treib ich alle vor mir her.“

 

Schwarzwasser ist sicher eine Fortschreibung meiner politischen Texte, die ich mit wolken.heim. begonnen habe. Damals habe ich mich mit dem Deutschen beschäftigt, mit dem Fremden an sich, dem für mich Fremden. Ich habe mich dem Deutschen, der deutschen Sprache, dem deutschen Denken mit (auch veränderten, quasi manipulierten) Zitaten genähert, um dann nach Österreich zu kommen, wo die Deutschnationalen in ihrer Abgrenzung von den Fremden, den „Ausländern“ die deutsche Sprache selbst nur noch verunstalten, gern auch in Gesängen. Ich habe das Schreiben über das Politische bezüglich der Roma-Morde von Oberwart versucht, in Stecken, Stab und Stangl . Eigentlich hat mich dabei — ich sehe, mir fehlen die Worte, dafür haben andre umso mehr davon, und sie haben leider auch was davon, sie schneiden sozusagen mit —, eigentlich also hat mich die Spiegelung dieser Verbrechen besonders in einem Boulevardmedium besonders interessiert, auch wiederum als eine Parodie auf das Schreckliche der Tat. Ich habe die Zeitungsartikel zu Oberwart (das Ereignis wurde ja teilweise als eine schiefgelaufene Gaunerei rezipiert, die Opfer waren natürlich selber schuld. So wurde es gesagt und aufgeschrieben. Immerhin gibt es an den Tätern in Schwarzwasser keinen Zweifel, sie können sich noch so oft als Opfer darstellen, wir haben den filmischen Beweis, und daran ist nicht zu rütteln) rückwärts ablaufen, also von hinten nach vorne sprechen lassen, sodaß sie keinen Sinn, oder vielleicht einen ganz neuen, ergeben haben. Ich habe dabei den Eindruck, daß sich diese politischen Texte, vor allem die der letzten Jahre, zu einem einzigen Text-Teppich vernähen lassen, verschmelzen (um einmal das Wort Textfläche zu vermeiden), also zu etwas, das man auf alles drüberlegt, auch um den Schmutz des Bodens zu verdecken. Indem ich das Triviale, auch das Lächerliche der gegenwärtigen Tagespolitik beobachte, weite ich es gleichzeitig aus, binde es an die großen (politischen!) Texte der antiken Dramatiker an, die ich wie Wegmarken, Landmarken, Landungsstege benutze, um mich davon abzustoßen und weitertreiben zu lassen, oder, wie Kinder früher, als sie noch mit sowas gespielt haben, ihre Kreisel; und ich verleihe auch dem Trivialsten noch eine neue Bedeutung, ja, das versuche ich. Ich möchte mich gern als Warnerin sehen, aber wahrscheinlich bin ich doch nur eine Nachahmerin, bestenfalls eben eine Parodistin von etwas, das jedoch ohnedies schon seine eigene Parodie ist.

aus: Elfriede Jelinek: Fischzug im Trüben. (Einige Anmerkungen zu Schwarzwasser) . In: Burgtheater Magazin 3 (2019/2020), unpag.