Vorspruch zum Hörspiel „Untergang eines Tauchers“

Abdrucke

  • Vorspruch zum Hörspiel „Untergang eines Tauchers“. 8.10.1989

    (Dauer: 4 min 20 sec)

 

Dieser und die folgenden Vorsprüche wurden, gesprochen von Jelinek, anlässlich der

Elfriede Jelinek Hörspiel-Retrospektive

im Süddeutschen Rundfunk 1989/1990 vor den einzelnen Hörspielen gesendet; über die Entstehungskontexte des

Hör­spiels

und die Beschäftigung mit Trivialmythen (

Tri­vi­al­my­thos

) der

Pop-Kul­tur

wie Flipper und Lassie (

Tie­re

) und das Aufdecken der ihnen innewohnenden

Ge­walt

, auch über die Figurenkonzeption im Hörspiel (

Schreib­ver­fah­ren

).

 

Der Taucher ist eine Metapher. Für den nach Aufstieg hungernden und vor Abstieg zitternden Kleinbürger. Untergang und Taucher: Das Sinken im Wasser als Katastrophe des Lebens schlechthin.

„Untergang eines Tauchers“ habe ich geschrieben in einer Zeit, als ich mich noch nicht an die Wirklichkeit herangewagt hatte, weil ich sie nicht gekannt habe. Ich habe mich vielmehr mit der Realität, wie sie sich in den Produktionen der Trivialmythologie widerspiegelt, beschäftigt: Mit Heftchen- und Illustriertenromanen. Mit Familienserien im Fernsehen, wie „Flipper“, „Lassie“, etc. Aus der Zeit vor „Dallas“ und „Denver“.

Die Schablonen, die vorgeben, eine äußere menschliche Form zu haben, setzen sich aus Sprachfiguren zusammen. Die handelnden Personen nennen sich ja selbst ständig „Figuren“, sie sprechen von sich selbst, als wären sie nicht sie, als gäbe es sie gar nicht oder nur als Projektion für etwas anderes, Mächtigeres, das sie zu dem gemacht hat, was sie sind. Die Mutterfigur. Die Figur des zahmen Delphins. Die Taucherfigur. Im Reich der lachenden Kinderaugen. [...]

Lassie und Flipper sind Abbilder unserer verwalteten und von geheimen, doch von den Medien ständig angeheizten Karrierewünschen dominierten Existenz. Und in meinem Hörspiel wandeln sie sich von den besten Freunden des Menschen zu mordgierigen Bestien, die sich gegen ihre Besitzer und Dompteure wenden, sie anfallen und töten. Und sie sprechen das alles auch noch ständig aus! Die Betulichkeit dieser Serien wird zu blanker Mordlust, wandelt sich in die Gewalt, die der Gesellschaft latent innewohnt (bis ab und zu ein Ventil platzt und ein Familienvater, seiner Schulden wegen, seine Lieben ausrottet oder wieder einmal ein kleines Kind, weil es beim Fernsehen stört, an die Wand geklatscht wird).

Ausgangspunkt für das Hörspiel war ein Zeitungsbericht über das Ertrinken eines Werkstauchers, dessen Luftschlauch sich verklemmt hatte, und der seinen eigenen Tod bis zuletzt über eine Leitung seinen Kameraden an der Oberfläche dokumentieren konnte.

So wird uns – gespiegelt in den Phänomenen des Überbaus, die uns jede Hoffnung auf Dazugehören nehmen, die uns in unserer unmündigen Lage fixieren sollen – unser eigener Untergang ständig vor Augen geführt, ohne daß wir ihn (und seine Verursacher!) je erkennen könnten. Die Taucher sind wir. Wir sind alle Taucher, die endlich hinauf wollen. Aber man läßt uns nicht, man schneidet uns die Luft ab.

aus: Elfriede Jelinek: Vorspruch zum Hörspiel „Untergang eines Tauchers“ . Typoskript, SDR 1989.

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