Manche sagen, daß diese Art von politischer Dramenliteratur doch nur dazu führen würde, daß das Publikum sich gegenseitig auf die Schulter klopft, sich in seiner eigenen Rechtschaffenheit bestätigend. Preaching to the choir. Soll ich mir also vorstellen, wie eine Menschenmenge (die durch die Seuche entsprechend verkleinert werden mußte) machtvoll aus einem Stück herausströmt? Der Donnerhall des gegenseitigen Schulterklopfens schwillt an zu einem trampelnden Chor, da kommen sie!, ein neues Stück wartet schon morgen auf sie!, sie warten nicht auf das Stück, es wartet auf sie. Aber sie haben sich vorher immerhin gegenseitig bestätigt und sind daher rechtmäßige Zuschauer, das haben sie geschafft, auch wenn sie das Stück recht mäßig gefunden haben mögen. Egal, wie Sie es gefunden haben, ich bedanke mich herzlich für diesen Preis, den ich dafür bekommen habe.
aus: Elfriede Jelinek: o. T., 2020. Unpubliziert.
Dankesrede zur Verleihung des
NESTROY-Preises
in der Kategorie „Bestes Stück – Autorenpreis“ für ihren Theatertext
Schwarzwasser
(2020). Bei der Preisverleihung, die am 4.10.2020 aufgrund der Corona-Pandemie als TV-Event in ORF III stattfand, wurde die Rede, mit einer Audio-Aufnahme von Jelineks Stimme, von
Nikolaus Habjan
mittels der Jelinek-Puppe präsentiert. Über Schwarzwasser als „Parabel für die Lächerlichkeit des Großen und die plötzliche Größe des Lächerlichen“.