Sprecher: (Im Hintergrund ländliche Musik) Guten Tag, meine Damen und Herren. Heute sind wir zu Gast bei einer ganz besondren Jubilarin. Sie werden vielleicht schon erraten haben, wen wir meinen, richtig, es ist eine der ältesten Bewohnerinnen von Ramshofen im schönen Wettersteiner Land! Jeder im Ort kennt sie, unsre Seferl, wie wir sie alle nennen, unsre liebe Frau… na, sagen Sie’s selber: Unsre liebe Frau…
Josefa: Josefa Tetschner. (lacht verlegen)
Sprecher: Liebe Frau Tetschner, erst einmal die herzlichsten Glückwünsche zu Ihrem Wiegenfeste! Wer Sie so ansieht, der könnte Sie glatt für 40, was sage ich, für ein junges Mädchen halten! Aber sagen Sie unsren Hörerinnen und Hörern doch, wie viele Jahre Sie wirklich auf dem Buckel haben!
Josefa: Ich bin 85 Jahre.
Sprecher: Na, ist das zu glauben? Wer hätte das gedacht? Meine Damen und Herren, Sie können Frau Tetschner zwar jetzt nicht sehen, wie sie so dasitzt, mit ihren roten Backen und den erwartungsvoll glänzenden Augen, aber ich sage Ihnen, keinen Tag mehr als 40 würde man ihr geben!
Josefa (lacht verlegen)
Sprecher: Wenn man sie beobachtet, wie sie im Winter das Bergerl zu ihrem kleinen hübschen Haus hinaufklettert, mit ihrer Milchkanne und dem schweren Rucksack, oder wie sie im Sommer in die Berge geht, wie eine Junge …..
Josefa (unterbricht, noch immer lachend): Na! Dös is net mei Haus. I hab da nur a Zimmer gemietet. Des Haus ghört an Bauern. Der hat dort drübn a großes Sporthotel.
Sprecher: ….. wie sie also schwer bepackt, mit lustig blitzenden Augen und kältegeröteten Wangen, immer fröhlich den steilen Pfad heraufkommt, würde sie manche junge Frau drum beneiden, und mancher verweichlichte Städter würde sich heimlich ein Beispiel nehmen, ist er doch sicher lange nicht so gelenkig wie unsre Sefa, wie wir sie hier oben alle nennen, unsre Sefa, die frühlings, sommers, herbstens und winters unverzagt von der Last der Jahre …..
Josefa (unterbricht lachend) ein bisserl schwer wird’s halt langsam scho …
Sprecher: Also, liebe Frau Tetschner, heute kommen wir als Gratulanten zu Ihnen, wir bringen Ihnen auch etwas mit, nämlich die Grüße unsres Herrn.
Das Material, das Jelinek für das Drehbuch zum Fernsehfilm
Ramsau am Dachstein
(1976) nicht verarbeiten konnte, diente ihr als Grundlage für die Hörspieltexte
Porträt einer verfilmten Landschaft
(1977) und Die Jubilarin (1978). Jene Sequenzen aus
Porträt einer verfilmten Landschaft
, in denen die Magd Josefa spricht, wurden von der Autorin zum Hörspiel Die Jubilarin weiterverarbeitet.
Die Magd Josefa feiert ihren 85. Geburtstag und wird von einem Moderator für eine Radiosendung interviewt. Während die Fragen des Moderators ein verklärendes Bild der bäuerlichen
Gesellschaft
und der Schönheit der
Natur
in den Alpen malen, werden in den Antworten Josefas, die von ihrer Kindheit und der Arbeit auf den Bauernhöfen berichtet, die
Ausbeutung
und das Elend der bäuerlichen Hilfskräfte, der besitzlosen Knechte und Mägde, evident. Die Erzählungen Josefas stehen in Widerspruch zu dem idyllisierenden Heimatbild (
Heimat
) des Moderators. Die Bauern, bei denen Josefa gearbeitet hat, haben hingegen vom
Tourismus
profitiert (
Kapitalismus
). Immer wieder wird Josefa in ihren Erzählungen vom Moderator unterbrochen, der ihre Schilderungen zu relativieren oder das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken versucht.