Die süße Sprache

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Jelinek verfasste das Gedicht für den Band Betroffensein. Texte zu Kärnten im Herbst 1980 , eine Anthologie anlässlich des 60-jährigen Jubiläums des 10. Oktober-Plebiszits von 1920 und den daraus resultierenden deutschnationalen Demonstrationen (

De­mons­tra­ti­on

). Deutschsprachige österreichische AutorInnen wurden gebeten, sich den Bedingungen auszusetzen, unter denen ihre slowenischsprachigen Kärntner KollegInnen Literatur produzieren, indem sie einen konkreten politischen Vorgang (

Po­li­tik

) zum Gegenstand einer literarischen Untersuchung machen sollten.

Jelineks Gedicht setzt sich mit der deutschen Sprache vor dem Hintergrund des Holocaust (

Ju­den­ver­nich­tung

,

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

) auseinander. Der Text thematisiert die Verstrickungen der deutschen Sprache in

Na­tio­na­lis­mus

sowie die Ausgrenzung von Fremden (

Frem­den­feind­lich­keit

).

 

Deutsch
Süße Sprache.
Doch nicht immer die Kennmarke
für Freund und Inland.
Manchmal auch Kennzeichen für
Feind und Inland und,
schlimmer noch:
für Feind und Ausland!
Das natürlich ursprünglich
ausländisch spricht.
Wenn es inländisch spricht,
verstellt es sich!
Das Fleischwort. Hat nicht lang
gewohnt, dann war es weg.
Der Fleischwolf.
Aus Schornsteinen geblasen über
ein ausländisches Land.
Slawischer Schmutz.
Gestank!
Aus Schornsteinen geblasen:
Auschwitz, Treblinka, Sobibor.
Was man nicht sprechen kann,
das kann man nicht denken.
Das Undenkbare.
Die Deutschland Undankbaren.
Das sie ernährt hat und manchmal
haben sie sogar studiert!
Süße Sprache,
die man noch von der Mutter herhat.
Deutschland: Bleiche, gütige Mutter.
Schwankend. Zusammenbrechend.
Unter der Last
der Fleischwölfe.
aus: Elfriede Jelinek: Die süße Sprache . In: Irnberger, Harald (Hg.): Betroffensein. Texte zu Kärnten im Herbst 1980. Klagenfurt/Celovec: Slowenisches Informationscenter / Slowenski informacijski center (SIC) 1980, S. 57-64, S. 59-60.