FaustIn and out

Sekundärdrama zu Urfaust

Uraufführung am Schauspielhaus Zürich, 2012. Foto: Toni Suter T+T Fotografie

Abdrucke

Erstveröffentlichung:

Teilabdruck:

  • Das wird Gott mir nicht glauben.

    Teilabdruck

    In: Schauspielhaus Zürich 5 (

    2011-12

    ), S. 4-7

    .

Aufführungen

Audio-Aufnahme

Chris Pich­ler

und

Wolf­ram Ber­ger

lasen für die Ausstellung des

Li­te­ra­tur­mu­se­ums der Ös­ter­rei­chi­schen Na­tio­nal­bi­blio­thek

einen Ausschnitt des Textes (10 min 51 sec) ein. Der Ausschnitt ist in der Ausstellung zu hören.

 

Jelinek verfasste den Text als Sekundärdrama zu

Goe­thes

Urfaust für die schwedische Regisseurin

Hil­da Hell­wig

. Ursprünglich war die Uraufführung des Stücks in Schweden vorgesehen, sie kam jedoch nicht zustande.

In der dem Stück vorangestellten Regieanweisung wird vorgeschlagen, dass eine GeistIn und eine FaustIn vor zwei Fernsehgeräten sitzen, in denen Szenen aus dem Urfaust gezeigt werden können. Ein Großteil des Textes wird entweder von der GeistIn oder der FaustIn gesprochen. Vereinzelt werden auch ein „zweiter Geist“, „FaustIn2“ und eine „andere FaustIn“ als SprecherInnen ausgewiesen. In der Regiebemerkung legt Jelinek fest, dass zumindest FaustIn eine Frau sein müsse.

Das Schicksal von Margarethe im Urfaust wird in Jelineks Text durch das Motiv der in einem unterirdischen Verlies gefangenen, missbrauchten

Frau

(

Ge­walt

,

Pa­tri­ar­chat

) – das auch mit dem realen Fall

Na­ta­scha Kam­pusch

zusammengebracht wird – mit dem Inzestfall von Amstetten in Beziehung gesetzt (der Geschäftsmann

Jo­sef Fritzl

wurde nach einem Geständnis vom Landesgericht St. Pölten schuldig gesprochen, seine Tochter 24 Jahre lang im Keller seines Hauses gefangen gehalten, vergewaltigt und mit ihr sieben Kinder gezeugt zu haben).

Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes nachgestellt:
„From hell:

Goe­the

: ‚Urfaust‘,

Jo­seph Vogl

: ‚Die voranlaufende Verpfändung der Zeit‘,

Ich selbst
Andere

Bei der Uraufführung am

Schau­spiel­haus Zü­rich

im Rahmen der Produktion Faust 1-3 wurde Jelineks Text mit dem 1. und 2. Teil von

Goe­thes

Faust kombiniert. Die ZuschauerInnen konnten sich zwischen zwei Aufführungsvarianten entscheiden: Während auf der Hauptbühne zunächst der Beginn von

Goe­thes

Faust gespielt wurde, begann man in einem Kellerraum des Theaters mit Jelineks FaustIn and out . Im Laufe der Aufführung wurden diese beiden Teile der Inszenierung zusammengeführt.

 

Roland Koberg:Fasziniert Sie Faust, der deutsche Mann?

Elfriede Jelinek: Er fasziniert mich überhaupt nicht als deutscher Mann. Er fasziniert mich als Dramenfigur, die von einem deutschen Mann geschaffen wurde, der das eherne Gesetz des Schaffens entschlossen an sich gerissen hat und über die Schicksale seiner Figuren verfügt. Man könnte auch sagen, ich renne mit der Schaufel und dem Besen hinter ihm her und beseitige den Menschenmüll, den der Klassiker hinterlassen hat. [...]

Was war zuerst wichtig? Sich zu Goethes „Faust“ zu äussern oder einen Text zu Fritzl und den Strategien des patriarchalischen Machterhalts zu schreiben?

Der erste Impetus war sicher schon, sich diesem Marmorblock Goethe zu nähern, mit schwachen Fingernägeln ein bisschen an ihm zu kratzen. Alles, was so unumstritten ist wie die Grösse Goethes und seines Hauptwerks reizt mich, auch im Bewusstsein, davon ausgeschlossen zu sein, denn die grossen Kulturschöpfungen kommen ja nicht von der Frau. Aber manchmal kann sie wenigstens mit einem kleinen Daunenkissen auf den Marmor einschlagen. Bis die Federn fliegen. Fritzl ist nur, wie gesagt, ein exemplarischer Fall, aber es gibt unzählige.

Bei Goethe wie auch in Ihrem Sekundärdrama geht es um die Macht über die Frau. Argumentieren Sie „als Frau“, so wie Goethe seinen Faust „als Mann“ geschrieben hat?

Ja, wahrscheinlich geht es nicht anders, also für mich nicht. In meiner Methode der sarkastischen, überspitzten und überspitzenden Schilderung muss man exemplarisch bleiben, da kann man mit Individualisierung wenig erreichen, man kann sie höchstens als Beispiel immer wieder einfügen, als Konkretion des Gesagten. Zumindest in den Sekundärdramen [...] will ich ja gerade auf etwas verweisen, auch im Sinn von: wegweisen, den Weg weisen und jemand, den Fremden, den, der nicht hierher gehört (und die Frau ist ja nicht das Subjekt, sie ist Das Andere) wegweisen. [...]

Als Grundsituation geben Sie an: Frauen in Fernsehsesseln. Es wird geredet und geklagt, aber die Frauen kommen nicht aus dem Sessel. Ist „Faustin and out“ auch ein Stück gewordenes Frauenschicksal?

In gewisser Weise teile ich dieses Schicksal mit allen. Ich weiss bloss, dass mir durch die Medialisierung von Realität nichts wirklich entgeht.

aus: Roland Koberg: Die Bühne ist ein klaustrophobischer Raum. Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek im E-Mail-Austausch mit dem Dramaturgen Roland Koberg. In: Programmheft des Schauspielhauses Zürich zu Faust 1-3 , 2012.

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