Da hat Michael Haneke ein Drehbuch geschrieben, zunächst für einen anderen
Regisseur, dann hat er es für sich selbst genommen und einen Film gedreht,
nach einem meiner Bücher. Er hat also etwas, das ich geschrieben hatte, zur
Grundlage von Berechnungen und Planungen genommen, und diese präzisen
Planungen (es ist ja fast unglaublich, was man alles berechnen und beachten
muß, wenn man einen Film dreht! Ich würde schon an den ersten fünf Sekunden
scheitern, denn ich verlange von einer Handlung, von Ereignissen, daß sie
mich an der Hand nehmen und voranziehen, daß ich sozusagen nicht weiß, wo
ich landen werde, ja, und das verlange ich, wie gesagt, nicht etwa daß ich
es nur zuließe!) zielen auf eine Endlosigkeit, eine Weite ab, in der alles
möglich ist und nichts. Man wirft Lebenstrümmer hinein, und sie ordnen sich
in einem hübschen Mahlstrom, der in eine bestimmte Richtung fließt, oder sie
werden aus rasender Drehung heraus wieder ausgespuckt, so wie Menschen, die
nicht leben können, vom Leben wieder ausgespuckt werden bzw. sich selber
wegschmeißen. Abfälle. Erika Kohuts. [...]
So ist Michael Haneke in die kleine, überschaubare (eigentlich recht enge)
Welt der Erika Kohut eingedrungen, die ich mir selber ausgedacht habe, und
die ich sogar selber zum Teil gewesen bin (beides probiert, Leben wie Kunst:
kein Vergleich! Aber Ihnen erlaube ich das Vergleichen schon gar nicht!),
wobei noch zu fragen wäre, wie verzweifelt ich als Autorin mir selbst, als
gewissermaßen Hauptfigur dieser Geschichte, die Planbarkeit meines eigenen
Schicksals damit selber einreden wollte, lassen Sie mich ausreden, denn
Ausreden fürs ungelebte Leben gibt es nicht, und auch die Kunst hat mich
nicht retten können, Spielball meines eigenen Lebens geworden zu sein, da
könnte man endlos weiter überlegen, aber, wie gesagt, wir haben nur
eineinhalb bis zwei Stunden dafür, und mehr hätte niemand für mein Schicksal
übrig, doch ich schweife ab, und das darf der Film nicht, es ist ja vorher
alles genau festgelegt worden, auch die Ausschweifungen, ich meine die
Abschweifungen, und so ist also Michael Haneke mit seiner Verfilmung in
meine kleine Welt eingedrungen, die ich im nachhinein als eine geplante
verkleidet habe, was sie möglicherweise war, möglicherweise aber auch nicht,
er ist eingedrungen und hat sie für Kunst benutzt, was ich selber aber
vorher auch schon getan hatte, nur halt in einem Buch, besser man sieht es
aber vor sich, um es nicht nachzumachen, niemals, und was ich eigentlich
sagen wollte, ist: diese Kunst-Ödnis, vor der jeder zu Recht Angst hat, ist,
trotz allen intrikaten Planungen, nicht beherrschbar, man kann sie nur
nutzen.
aus: Elfriede Jelinek: Im Lauf der Zeit . In: Jelinek,
Elfriede: Die Klavierspielerin. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2001 (=
rororo 23166), S. 287-289.
Eine Verfilmung des Romans
Die Klavierspielerin
wurde zuvor schon von Jelinek und
Valie Export
sowie von
Paulus Manker
geplant, jedoch nicht realisiert. Ausschnitte aus Jelineks und
VALIE EXPORTS
Drehbüchern wurden in dem 2007 im Sonderzahl-Verlag erschienenen Export-Lexikon veröffentlicht.
Michael Haneke
verfasste das Drehbuch ursprünglich für eine Verfilmung in der Regie von
Paulus Manker
, übernahm später jedoch selbst die Regie. Nachdem das Filmprojekt vom
ORF
abgelehnt wurde, wurde der Film von den französischen Produktionsfirmen Les Films Alain Sarde, MK2, Arte France Cinéma gemeinsam mit der österreichischen Firma Wega-Film produziert.
In der filmischen Realisierung dominieren Nahaufnahmen, lange Kameraeinstellungen und Szenen in Innenräumen. Ein Unterschied zur Romanvorlage besteht darin, dass die Beziehung zwischen
Mutter
und Tochter im Film weniger stark im Vordergrund steht. Außerdem wird der Charakter Walter Klemmers (z.B. seine
Gewalt
) in der Verfilmung stärker psychologisiert als im Roman. Aus dem Off wird keine
Musik
eingespielt, sondern es ist ausschließlich Musik zu hören, die von den Figuren (z.B. Erika Kohut, Walter Klemmer) selbst gespielt wird.
Hanekes
Film wurde in deutscher und französischer Sprache gedreht. Er ist ab 16 Jahren freigegeben und hat das Prädikat „sehenswert“.