Oh mein Papa

50 Jahre Das jüdische Echo (Jubiläumsausgabe), Dezember 2001

Abdrucke

auch in:

 

Über das Berufsverbot ihres

Va­ters

Fried­rich Je­li­nek

im

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

und das Recht der „Nachfolgenden“, sich über diese Ungerechtigkeiten zu äußern; aus Anlass der Debatte um den österreichischen Philosophen

Ru­dolf Bur­ger

über Vergessen und Nicht-Vergessen (

Ös­ter­reich

,

Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung

).

Für das Klang-Denkmal Nachklang-Widerhall von Kult-Ex am Alten Kirchenplatz in Leonding bei Linz zur Erinnerung an die Verfolgung, Vertreibung und den Widerstand im

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

(Eröffnung:

11.5.2007)

nahm

Gott­fried Hüngs­berg

eine Lesung des Textes mit Jelinek auf. Diese Aufnahme ist auch auf der Doppel-CD Nachklang-Widerhall.

Linz:

Edi­ti­on Kult-Ex

2007

zu hören.

 

Schon kommen Leute dahergelaufen, im Laufen brüllen sie stumm, nein sie verstummen laut, ach was, diese Geschöpfe spucken einen beim Reden noch aus, so sehr verachten sie einen, sie schreien mich pausenlos an, daß ich da mit Entsetzensausdrücken eines anderen Menschen mir selber einen Opferstatus verleihen möchte. Ich möchte mir demnach das Leiden meines Vaters und das seiner Familie an die Brust heften wie einen Orden, wie das kleine Jodelphon der beliebten Souvenirbären, die ihre Töne von sich geben, wenn man ihnen auf den Bauch drückt, immer dieselbe kleine Melodie, Holaretiü. Das wird mir bedeutet, und daher bedeutet es ein für allemal: nichts, was ich sagen könnte - nichts halt. Es ist bekannt und muß nicht mehr ausgesprochen werden. […] Da es alle wissen, kann ich ja genausogut den Mund halten. Doch was ich (und natürlich viele andre, viele mehr als ich je sein könnte) immer wieder herausholen, und wäre es immer wieder dasselbe und könnte es keiner mehr hören, ist immer noch nicht einfach selbstverständlich vorhanden dadurch, daß es da ist und nicht geleugnet wird (kaum jemand leugnet die vergangenen Verbrechen noch, zumindest öffentlich traut sich das kaum einer mehr, es quillt nur manchmal durch die Ritzen, weil noch immer zuviel davon vorhanden ist, aber das leugnen wir entschieden. Es war da, zugegeben, aber jetzt ist es weg), es ist eben das Vorhandene, aber es ist verschwunden, und trotzdem gebe ich ihm das, was ihm zukommt, obwohl ich dazu gar nicht berechtigt bin.

aus: Elfriede Jelinek: oh mein Papa. https://original.elfriedejelinek.com/fpapa.html (24.11.2025), datiert mit 2001 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Archiv 2001, zu Politik und Gesellschaft).

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