Ich persönlich stehe also wieder einmal hier, nicht weil ich ein ab und zu fälliges Ritual abspulen möchte, damits mir selber für eine halbe Stunde besser geht,
sondern weil ich eben glaube, daß für diesen Wertekanon einzutreten ist. Ich denke, von dieser Regierung ist nichts mehr zu erwarten, und es ist auch nicht auf
sie zu setzen, und selbst wenn die extreme Rechte bei diesen Wiener Wahlen ein wenig zurückgedrängt würde, die Schande ihrer bloßen Existenz, die Schande ihres Erfolgs bleibt,
auch wenn die gemäßigt fortschrittlichen Gruppierungen gestärkt würden. Sie wirkt, diese Regierung, mitsamt der sogenannten stärkeren Regierungspartei, indem sie einfach da ist,
sie wirkt, die FPÖ mit ihren Sprüchen, weil sie aufgrund dieser Sprüche nicht denken muß, aber immer etwas zu sagen hat. Sie kotzt uns ihre antisemitischen und menschenfeindlichen
Sprüche vor die Füße und geht anschließend wo andershin, wo sie es genauso macht. Ich habe keine Lust mehr, einen Fetzen zu nehmen und dauernd hinter ihnen herzurennen.
Aber auch einfach nur da zu sein, nachdem wir schon so oft dagewesen sind, müßte mir, müßte uns eigentlich zuwenig sein, obwohl es auch wieder genügen müßte gegenüber dem Geheul
und dem einverständnisinnigen Gegröle und Gegrinse und Gefeixe in ihren Bierzelten und Kurhallen (eine Einrichtung, wo eigentlich etwas gebessert werden sollte, oder?).
aus: Elfriede Jelinek: Rotz .
http://www.elfriedejelinek.com/fmaerz.html (27.11.2019), datiert mit 16.3.2001 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Archiv 2001, zu Österreich; Titel: 16.3.2001. Rotz).
Rede bei der Kundgebung Gesicht zeigen! Stimme erheben! (
Demonstration
) am 16.3.2001 anlässlich der bevorstehenden Wiener Gemeinderatswahl. Die anwesenden DemonstrantInnen seien hier, um gegen den durch
Fremdenfeindlichkeit
und
Antisemitismus
geprägten FPÖ-Wahlkampf (
Freiheitliche Partei Österreichs
) zu protestieren und für einen Wertekanon von Gleichheit und Gerechtigkeit einzustehen.