Die Ausgesperrten

Roman

Cover des Erstdrucks, 1980

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Radio-Lesung

  • Elfriede Jelinek liest aus dem unveröffentlichten Roman-Manuskript. 3.5.1979

 

Jelinek, die sich in ihrem Roman auf einen realen Fall – der Oberschüler

Rai­ner Wun­de­rer

ermordete in den 1960er Jahren seine Eltern – bezog, gestaltete den Stoff zuvor bereits als Hörspieltext (

Die Aus­ge­sperr­ten, 1979

), nachdem aus einem Film-Projekt nichts geworden war. Der Roman entstand gleichzeitig mit dem Hörspieltext, wobei dieser noch vor dem Roman fertig war. Der Roman bildete die Grundlage für Jelineks Drehbuch zum gleichnamigen

Film (1982)

.

Der Text ist in Abschnitte gegliedert, die jeweils durch neue Seiten gekennzeichnet sind.

Im Zentrum der Handlung stehen vier jugendliche AußenseiterInnen (

Au­ßen­sei­ter

,

Au­ßen­sei­te­rin

) aus verschiedenen sozialen Schichten der

Ge­sell­schaft

im Wien der 1950er Jahre: Sophie Pachhofen, die privilegierte Tochter einer Industriellenfamilie, die Zwillinge Rainer und Anna Witkowski, die bei ihrem kriegsinvaliden Vater und ihrer Mutter in kleinbürgerlichen Verhältnissen leben, und der Arbeitersohn (

Ar­bei­ter

) Hans Sepp, dessen Vater als Sozialist im KZ ermordet wurde. Rainer ist der Anführer der Bande, die in ihrer Freizeit Überfälle und Anschläge (

Ter­ro­ris­mus

) verübt. Die Gewalttaten kulminieren in einem Amoklauf Rainers, bei dem er seine

Fa­mi­lie

tötet.

Jelinek thematisiert u.a. das Fortbestehen der

Ge­walt

in der Nachkriegsgeneration als Nachwirkung des

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

und als Resultat der fehlgeschlagenen

Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung

in

Ös­ter­reich

. Jelinek zeigt auch, wie das Klassensystem und die traditionellen Rollen für

Frau

und

Mann

in der Nachkriegszeit weiterbestehen. Neben den intertextuellen Bezügen zu

Phi­lo­so­phie

und Literatur des Materialismus und Existenzialismus, vor allem zu

Jean Paul Sart­re

und

Al­bert Ca­mus

, werden, wie auch im Roman

Die Kla­vier­spie­le­rin (1983)

, Diskurse der

Psy­cho­ana­ly­se

verarbeitet.

 

 

Adolf-Ernst Meyer:Apropos Kommunismus: davon finde ich in Ihrem Werk auch nicht sehr viel. Vielleicht noch am ehesten in den „Ausgesperrten“, wo Sie so recht klassisch die drei Schichten schildern, den Arbeiter, die beiden Kleinbürger-Zwillinge und die Oberklassen-Tochter Sophie, vormals von Pachhofen.

Elfriede Jelinek: Die Namen habe ich zum Teil aus dem „Mann ohne Eigenschaften“ entlehnt.

Das ist mir entgangen.

Es ist auch nur ein kleiner literarischer Scherz, bei dem entscheidend war, daß ich mir den bewaffneten Terrorismus in der Bundesrepublik in seinen Wurzeln vorgestellt habe, Ende der fünfziger Jahre, wo schon die Weichen gelegt worden sind, wo es an der Kippe zur Genese der Jugendkultur stand, es war sozusagen eine Zeitenwende. Ich versuche immer, meine Versuchsanordnungen möglichst rein zu erhalten. Und hier konnte man das finden: Die Jugend hat halt Popmusik und Mode und das alles bekommen zu einer Zeit, wo bei den Eltern noch die Erinnerung an den Krieg und die Aufbaujahre lebendig waren.

So ein Gedanke ist am Rande ja dabei, mit Schallplatten und so...

Ja, es beginnt schon mit Rock ’n’ Roll, aber die eigentliche Popkultur beginnt erst später, mit dem ersten Auftreten der Beatles. Die Klassenstruktur-Versuchsanordnung entwickelt in den „Ausgesperrten“ diese Brisanz. Nur die Oberschicht kann natürlich souverän sein, auch in der anarchistischen Aktion, weil sie keine Angst vor Abstieg haben muß, während das Kleinbürgertum, das ja schon den Faschismus mit hervorgebracht und getragen hat und heute immer noch die herrschende Klasse ist, letztlich nur den eigenen Aufstiegsinteressen folgen will. Dieser brain drain, den der Faschismus verursacht hat, indem er die jüdische Intelligenz, aber auch die armen Junden [sic] vernichtet hat, hat das Kleinbürgertum als herrschende Klasse mit sich gebracht. An diese [sic] Klasse mit ihrer Hoffnung auf Aufstieg und der Angst vor Abstieg krankt das Deutsche bis heute.

aus: Adolf-Ernst Meyer: Elfriede Jelinek im Gespräch mit Adolf-Ernst Meyer. In: Jelinek, Elfriede / Heinrich, Jutta / Meyer, Adolf-Ernst: Sturm und Zwang. Schreiben als Geschlechterkampf. Hamburg: Klein 1995, S. 7-74, S. 20-24.

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