„Ich bin die Liebesmüllabfuhr“

profil, 29.11.2004

Nachweis

auch in:

 

Über ihre Situation nach der Nobelpreisbekanntgabe (

No­bel­preis

). Über die Reaktionen des Vatikans, von

Mar­cel Reich-Ra­ni­cki

,

Iris Ra­disch

,

Mar­tin Mo­se­bach

und

Franz Jo­sef Wag­ner

. Über Biographisches (

Per­son

), das Verhältnis zu ihrer

Mut­ter

, Liebes- und Glücksmomente in ihrem Leben. Sie bezeichnet das Schreiben als „Rettungsboot“, als eine Art Therapie gegen ihre Ängste, die sie als „spezielle Form von Agoraphobie“ definiert. Die zentralen Motoren ihres Schreibens seien Hass und Rache. Über ihre Familiensituation (

Fa­mi­lie

) im

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

. Über Angst vor dem Altern, Selbstmordgedanken, Reisewünsche, weibliche

Ho­mo­se­xua­li­tät

, ihre

Ehe

und ihre Abhängigkeit vom Fernsehen (

Me­di­en

). Den Humor in ihren Texten verortet sie in der Tradition des jüdischen Witzes (

Ju­den­tum

) und begründet ihr Bekenntnis zum

Fe­mi­nis­mus

durch das „phallokratische Wertesystem, dem die Frau unterliegt“ (

Frau

,

Mann

), vergleicht weibliche und männliche Schönheitsideale miteinander und nennt die Gründe für ihr politisches Engagement in der KPÖ (

Po­li­tik

,

Kom­mu­nis­mus

).

Passagen des Interviews wurden für

Ma­xi Bla­has

und

Ve­re­na Hu­mers

szenische Fassung

Es gibt mich nur im Spie­gel­bild

(2016) verwendet.

Reaktionen

Reaktionen:

 

André Müller: Der Vatikan hat sich darüber aufgeregt, dass eine, wie es hieß, nihilistische Neurotikerin den Nobelpreis bekommt.

Elfriede Jelinek: Das fand ich besonders schlimm, denn der Vatikan sollte doch eigentlich auf der Seite der Schwachen und Kranken stehen. Der sollte eher sagen, lasst doch die arme Frau in Ruhe, die kann nicht anders, es ist schön, dass sie ihn bekommen hat, auch wenn nihilistisch ist, was sie schreibt. Der Vatikan müsste doch die Mühseligen und Beladenen schützen. […]

Das Recht, sie herabzusetzen, steht allein Ihnen zu.

Ja, genau. Ich möchte nicht, dass es ein anderer tut. Ich möchte die Sahnetorte, mit der ich mich bewerfe, nicht sozusagen aufgehoben und voll Dreck ein zweites Mal ins Gesicht bekommen, obwohl ich natürlich weiß, dass es eine Anmaßung ist. Denn es kann ja jeder über mich sagen und schreiben, was er will. […]

Können Sie ohne Schlafmittel schlafen?

Nein, um Gottes willen, ohne Valium geht gar nichts. Meine Grundausstattung sind Valium, Betablocker und Antidepressiva. Das Theaterstück „Bambiland“ habe ich in einem einzigen Drogenflush geschrieben.

Froh werden Sie auch durch das Schreiben nicht?

Nein. Froh macht mich nichts. Nur manchmal gerate ich während des Schreibens in so Zustände, in denen ich nicht mehr so ganz bei Bewusstsein bin. Es ist eine Art Trance wie beim Orgasmus. Aber auch da weiß ich, wie es entsteht. Letztlich ist alles Arbeit, sogar die Liebe. […]

Haben Sie jemals konkret daran gedacht, sich das Leben zu nehmen?

Nein, komisch. Denn eigentlich wäre das die logische Konsequenz meiner Selbstverachtung. Aber man krallt sich dann halt an das bisschen Leben, das da ist, wie ein Krebskranker, der sich noch im letzten Stadium an jeden Tag klammert und nicht sterben will.

aus: André Müller: „Ich bin die Liebesmüllabfuhr“ . In: Die Weltwoche, 25.11.2004.