Neid

Privatroman

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Jelinek publizierte den im Untertitel als Privatroman bezeichneten Roman ausschließlich auf ihrer Website (

In­ter­net

). Die einzelnen Teile wurden im Zeitraum vom 3.3.2007 bis 24.4.2008 wie bei einem Fortsetzungsroman kapitelweise ins Netz gestellt, das fünfte Kapitel in zwei Teilen (a, b, c sowie d bis h). Jedes Kapitel endet mit dem Veröffentlichungsdatum sowie dem Hinweis „Fortsetzung folgt“ bzw. „Fortsetzung folgt bald“. Das letzte Kapitel (5 h) schließt mit „Ende“, einem Kommentar und einer Danksagung: „Unvollständige oder fehlerhafte Sätze bitte (jeder für sich selbst) ergänzen bzw. korrigieren! (danke vielmals, Angela, Daniel, Gottfried!)“. Nach der Veröffentlichung des Romans nahm Jelinek am 1.5.2008 noch eine Ergänzung im Kapitel 4a vor (und zwar 64b, eine Bezugnahme auf den Fall

Fritzl

), am 5.9.2008 gab es von ihr kleine Korrekturen an dieser Ergänzung.

Der Roman ist in seiner Endfassung in 936 numerische Einheiten gegliedert. Den einzelnen Kapiteln und Unterkapiteln ist

Hie­ro­ny­mus Boschs

Bild Die Sieben Todsünden vorangestellt, in das Nummern der jeweiligen Kapiteleinheiten eingefügt sind, über die man durch Anklicken zu den entsprechenden Einheiten gelangt. Am Ende jedes Kapitels findet man einen Ausschnitt aus

Boschs

Bild, der ebenfalls die als Hyperlinks eingefügten Nummern enthält.

Als Quelle benutzte Jelinek einen realen Mordfall: 1983 wurde

Sieg­lin­de Zant

aus St. Andrae Wördern zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil sie, angesichts ihres bevorstehenden 40. Geburtstags, am 20.10.1982 (an Jelineks Geburtstag) die neue, 16-jährige Freundin (

Chris­ti­ne Dopp­ler

) ihres 18-jährigen Geliebten (

Mi­cha­el Klaus

) ermordet hatte. Der Roman bezieht sich weiters auf die Todesmärsche ungarischer Juden auf der Eisenstraße in Richtung Mauthausen im April 1945 (

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

, Holocaust (

Ju­den­ver­nich­tung

),

Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung

), das Phänomen der „shrinking cities“ (am Beispiel der Stadt Eisenerz) (

Ka­pi­ta­lis­mus

,

Na­tur

,

Tou­ris­mus

), die Entführung

Na­ta­scha Kam­puschs

sowie politische Ereignisse (

Po­li­tik

) in

Ös­ter­reich

aus dem Zeitraum der Romanentstehung (z.B. die Affäre um den Verkauf der BAWAG oder die Machenschaften des ehemaligen Finanzministers

Karl-Heinz Gras­ser

).

Neben der Ich-Erzählerin ist Brigitte K. die Hauptfigur des Romans. Nach ihrer Scheidung von einem Elektrohändler, der sie wegen einer jüngeren Frau verließ, zieht sie nach Bruck an der Mur und beginnt ein Verhältnis mit einem jüngeren Mann (

Se­xua­li­tät

). Sie ermordet die jüngere Geliebte ihres Freundes und vergräbt die Leiche im Garten. Am Ende wird sie durch einen Erdrutsch, der an die Mure im Roman

Die Kin­der der To­ten (1995)

erinnert, nach Cleveland, die Stadt der Industrieruinen, versetzt.

Nach den Romanen

Lust (1989)

und

Gier (2000)

greift Jelinek mit Neid eine weitere der Sieben Todsünden (

Tod­sün­de

) auf, beim titelgebenden Neid handelt es sich vor allem um den Neid derer, die nicht leben können (

Un­to­te

), auf die Lebenden. Brigitte K. weist Bezüge zur gleichnamigen Figur aus Jelineks Roman

Die Lieb­ha­be­rin­nen (1975)

, zu Erika Kohut aus dem Roman

Die Kla­vier­spie­le­rin (1983)

sowie zu Karin Frenzel im Roman

Die Kin­der der To­ten

auf.

 

Rose-Maria Gropp:Sie bezeichnen Ihren Text im Internet als „Privatroman“. Warum? Ist das eine Gattungsbezeichnung?

Elfriede Jelinek: Das bedeutet, dass der Roman nur privat erscheint, sozusagen im Selbstverlag. Aber auch, dass umgekehrt, mehr Privates in den Text einfließt als sonst.

Sie stellen den Privatroman ins Internet, den öffentlichsten aller möglichen Orte. Warum tun Sie das?

Das Internet ist aber eine andere Form der Öffentlichkeit, denn die Öffentlichkeit im Netz ist virtuell. Wenn alle etwas lesen können, dann kann es eben auch keiner. Ich schreibe den Text, aber gleichzeitig kann ich mich auch hinter ihm verstecken, denn er ist ja sozusagen nicht-geschrieben.

Haben Sie vor, den Roman in einer späteren Bearbeitung auch als Buch in Ihrem Verlag zu veröffentlichen?

Nein, es wird kein Buch geben. [...]

Ist es Ihre Absicht, sich in die Tradition des Fortsetzungsromans – Sue, Balzac, Dickens – einzuschreiben?

Nein, überhaupt nicht. Die Fortsetzungen haben überhaupt nichts mit Spannung und dem Lösen eines Handlungsknoten zu tun, im Gegenteil, es geht ja um Stillstand, um sterbende Städte (shrinking cities), um das Sterben im Leben, und natürlich wird auch eine Mordgeschichte angedeutet, aber nur sehr vage. Es geht um eine Verengung von Lebensraum (meinen Lebensraum, den der Hauptfigur und den der Städte, die, auf Grund industrieller Krisen vor allem in Europa im Stahlbereich, die Hälfte ihrer Einwohner verlieren), um Stillstand. Es geht zuallerletzt um Bewegung, höchstens um gestockte Bewegung von verstockten Menschen. Es wird dem überall herrschenden Aktionismus sozusagen dieser Stillstand entgegengehalten, wie – für die Katholiken – eine Monstranz den Gläubigen, wenn die Verwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut stattfindet.

Außerdem behalte ich mir vor, falls ich scheitere oder zu scheitern glaube, den Roman als Torso einfach so stehenzulassen, ihn nachträglich umzuschreiben oder ihn einfach aus dem Netz zu nehmen, falls ich das möchte beziehungsweise falls ich es nicht aushalte, dass er da einfach so steht und blöd aus dem Bildschirm herausglotzt.

aus: Rose-Maria Gropp: Dieses Buch ist kein Buch. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.4.2007.

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