Die Klavierspielerin

Roman

Cover des Erstdrucks, 1983

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Der Roman ist in zwei große Abschnitte gegliedert, die mit römischen Ziffern versehen sind (I, II). Die Protagonistin Erika Kohut lebt, nachdem ihr geisteskranker

Va­ter

(

Wahn­sinn

) verstarb, mit ihrer

Mut­ter

in Wien (

Ös­ter­reich

). Von der Mutter, die dem Kleinbürgertum entkommen will (

Ge­sell­schaft

), zur Konzertpianistin (

Mu­sik

) gedrillt, bleibt ihr nach einem gescheiterten Auftritt nur die Lehre am Konservatorium. Auch als Erwachsene wird sie von der Mutter streng überwacht, vor allem

Se­xua­li­tät

ist für sie verboten. Um dieser Kontrolle zu entgehen, hält Erika ihre eigenen Wünsche geheim: sie kauft teure Kleider (

Mo­de

), besucht Pornokinos und Peepshows (

Por­no­gra­fie

), beobachtet kopulierende Paare in den Praterauen, fügt sich mit der Rasierklinge des Vaters Verletzungen zu. Als der Student Walter Klemmer ihr Klavierschüler wird, entwickelt sich zwischen ihnen eine von Machtkämpfen geprägte Beziehung. In einem Brief gibt Erika Klemmer detaillierte Anweisungen, wie er sie zu quälen und zu erniedrigen hat (

Ge­walt

,

Ma­so­chis­mus

). Klemmer weigert sich zunächst, ihre Wünsche zu erfüllen, vergewaltigt sie aber dann brutal. Am nächsten Tag macht sich Erika mit einem Messer auf den Weg zu Walter, doch statt es gegen ihn zu richten, fügt sie sich selbst damit eine Wunde zu und geht wieder in Richtung nach Hause.

Wie schon in

Die Aus­ge­sperr­ten (1980)

zitiert und parodiert Jelinek auch in diesem Roman Theorien der

Psy­cho­ana­ly­se

. Weitere intertextuelle Referenzen gibt es zur Literaturtradition, u.a. zu

Goe­the

,

Ril­ke

,

Bach­mann

und

Kaf­ka

, sowie zum Text von

Schu­berts

Liedzyklus Winterreise , auf den sich auch ihr gleichnamiger

Thea­ter­text (2011)

bezieht. Die Mutter-Tochter-Beziehung greift Jelinek wieder in ihrem Roman

Die Kin­der der To­ten (1995)

auf.

Mit Die Klavierspielerin gelang Jelinek der literarische Durchbruch, die wissenschaftliche Rezeption betonte die formalästhetischen Aspekte ihres Textes, während einige LiteraturkritikerInnen ablehnend reagierten und der Autorin vorwarfen, ihr Text wäre pornographisch.

 

 

Erika will erst nach einer Irrung und nach Wirrnissen geliebt werden, gibt sie an. Sie spinnt sich ganz in ihre Gegenständlichkeit ein und sperrt ihre Gefühle aus. Die Kredenz ihrer Scham, den Kasten ihres Unbehagens hält sie krampfhaft vor sich hin, und Klemmer soll diese Möbel mit Gewalt wegrücken, um zu Erika zu gelangen. Sie will nur Instrument sein, auf dem zu spielen sie ihn lehrt. Er soll frei sein, sie aber durchaus in Fesseln. Doch ihre Fesseln bestimmt Erika selbst. Sie entscheidet, sich zum Gegenstand, zu einem Werkzeug zu machen; Klemmer wird sich zur Benützung dieses Gegenstands entschließen müssen. Erika zwingt Klemmer zum Lesen eines Briefs und fleht innerlich dabei, daß er sich über den Inhalt des Briefs, kennt er ihn erst, hinwegsetzen möge bitte. Und sei es nur aus dem einen Grund, daß es wahrhaftig Liebe ist, was er empfindet, und nicht nur deren lockerer Anschein, der auf den Matten glänzt. Erika wird sich Klemmer vollkommen entziehen, falls er sich weigern sollte, ihr Gewalt zuzumuten. Doch sie wird jederzeit glücklich über seine Zuneigung sein, die Gewalt ausschließt gegen das Geschöpf seiner Wahl. Nur unter der Bedingung von Gewalt jedoch darf er sich Erika zulegen. Er soll Erika bis zur Selbstaufgabe lieben, dann wird wiederum sie ihn bis zur Selbstverleugnung lieben. Sie reichen einander andauernd beglaubigte Beweise für Zuneigung und Ergebenheit. Erika wartet darauf, daß Klemmer aus Liebe Gewaltverzicht schwört. Erika wird sich aus Liebe verweigern und verlangen, daß mit ihr geschehen soll, was sie in dem Brief bis ins Detail gehend fordert, wobei sie inbrünstig hofft, daß ihr erspart bleibe, was sie in dem Brief verlangt. Klemmer blickt Erika in Liebe und Verehrung an, als blickte ihn jemand dabei an, wie er Erika in Verehrung und Ergebenheit anblickt. Der unsichtbare Zuschauer blickt Klemmer über die Schulter. Was Erika betrifft, so blickt ihr Erlösung über die Schulter, auf die sie hofft. Sie befiehlt sich Klemmer in die Hände und hofft auf Erlösung durch absolutes Vertrauen. Sie erwünscht von sich Gehorsam und von Klemmer Befehle, um ihren Gehorsam zu komplettieren. Sie lacht: dazu gehören zwei! Klemmer lacht mit. Danach gibt er an, daß wir keinen Briefwechsel benötigen, weil ein schlichter Kußwechsel genügen würde. Klemmer versichert der künftigen Geliebten, daß sie ihm alles, aber auch alles sagen könne und nicht extra schreiben müsse. Schämen darf sich die Frau, die Klavier spielen gelernt hat, ruhig! Durch gutes Aussehen kann sie einen aufgrund von Wissen permanent absterbenden Geschlechtsreiz für den Mann ersetzen.

aus: Elfriede Jelinek: Die Klavierspielerin. Reinbek: Rowohlt 1983 (= das neue buch), S. 266-267.