Krankheit oder Moderne Frauen
Wie ein Stück
Uraufführung am Schauspiel Bonn Kammerspiele, 1987. Foto: Stefan Odry
Uraufführung am Schauspiel Bonn Kammerspiele, 1987. Foto: Stefan Odry
Emily, Krankenschwester und Vampir; Carmilla, Hausfrau, Mutter und Vampir, österr.;Dr. Heidkliff,Facharzt für Kiefer- und Frauenheilkunde;Dr. Benno Hundekoffer,Steuerberater und Carmillas Mann; Ein Heiliger; Eine Märtyrerin Fünf Personen auf Rollschuhen (verschiedene Größen); Eine sprechende Babypuppe mit hübschen Sprech-Kassetten; Zwei gut erzogene Jagdhunde;
Ein paar Frauen in schönen Kleidern; Ein Doppelgeschöpf (Emily und Carmilla, zusammengenäht)
Jelinek, Elfriede
:
Krankheit oder Moderne Frauen. In: manuskripte 85 (
1984
), S. 3-22
.
Jelinek, Elfriede
:
Krankheit oder Moderne Frauen.
Hg. und mit einem Nachwort von Regine Friedrich.
Köln
:
Prometh
1987
(Nachwort: S. 84-94)
.
Jelinek, Elfriede
:
Krankheit oder Moderne Frauen. In: Spectaculum 47 (
1988
), S. 81-130
.
Jelinek, Elfriede
:
Krankheit oder Moderne Frauen. In:
Friedrich, Regine
/
Jelinek, Elfriede
:
Theaterstücke. Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen
der Gesellschaften. Clara S. musikalische Tragödie. Burgtheater (hg. v. Ute Nyssen).
Krankheit oder Moderne Frauen (hg. v. Regine Friedrich).
Reinbek
:
Rowohlt
1992
(= rororo 12996), S. 191-265
DN
.
Jelinek, Elfriede
:
Krankheit oder Moderne Frauen. In: Programmheft des Stadttheaters St. Gallen zu Jelineks
1996
.
Jelinek, Elfriede
:
Krankheit oder Moderne Frauen. Wie ein Stück.
Teilabdruck
In: Die Schwarze Botin 23 (
1984
), S. 4-7
.
Jelinek, Elfriede
:
Krankheit oder moderne Frauen. [sic] Eine Szene aus dem gleichnamigen Bühnenstück gegen die Entwürdigung der Frau.
Teilabdruck
In:
West, Arthur
:
Linkes Wort für Österreich.
Wien
:
Globus
1985
, S. 292-296
.
Jelinek, Elfriede
:
Krankheit oder Moderne Frauen. Wie ein Stück.
Teilabdruck
In:
Bei, Neda
:
Das lila Wien um 1900. Zur Ästhetik der Homosexualitäten.
Wien
:
promedia
1986
(= I. 5 und II. 1), S. 53-63
.
Jelinek, Elfriede
:
Vampire.
Teilabdruck
In: Emma 4/
1987
, S. 56-57
.
UA | 12.2.1987
, I:
Hans Hollmann
12.5.1987
, I:
Barbara Bilabel
20.11.1987
, I:
Thirza Bruncken
15.3.1989
, I:
Johannes Zametzer
22.4.1990
, I:
Piet Drescher
12.11.1990
SoHo 20 Gallery
/ 19.11.1990
Castillo Cultural Center
(Veranstalter:
Goethe-Institut New York
)
, I:
Eva Brenner
, Ü:
Roger Downey
23.2.1991
, I:
Wolf Seesemann
13.9.1991
Theater aan de Haven
, Den Haag
, I:
Kim Zeegers
, Ü:
Kim Zeegers
23.3.1994
, I:
Anselm Weber
12.11.1994
, I:
Barbara Bilabel
2.11.1995
, I:
Volker Schmalöer
15.11.1996
, I:
Arnim Halter
10.3.1998
, I:
Amelie Niermeyer
7.3.2003
, I:
Daniela Kranz
,
Jenke Nordalm
10.12.2004
Činoherní Studio
, Usti nad Labem
, I:
Viktorie Čermáková
, Ü:
Zuzana Augustová
13.4.2005
Divadelní fakulta JAMU
, Brünn
, I:
Jiří Honzírek
, Ü:
Zuzana Augustová
20.5.2005
Teatr Psychodelii Absolutnej
, Krakau (im Rahmen des Festivals
VI OGÓLNOPOLSKI FESTIWAL TEATRÓW NIEZALEŻNYCH OSTRÓW
)
, I:
Bartlomiej Piotrowski
, Ü:
Marek Zeller
26.10.2005
Theater 7 a půl
, Brünn,(im Rahmen der Ausstellung Tento týden menstruuji v Brně),
, I:
Jiří Honzírek
, Ü:
Zuzana Augustová
7.12.2008
Bar des capucins
, Lyon
, I:
Marie Florine Thieffry
, Ü:
Patrick Démerin
,
Dieter Hornig
18.8.2016
salon5 am Thalhof
, Reichenau
, I:
Jens Bluhm
Lesung aus dem Stück bis zur Szene II. 1 durch Jelinek und
Neda Bei
samt Kommentaren von Jelinek: Eigenaufnahme von der Tagung Das lila Wien um 1900. Zur Ästhetik der Homosexualität in der Alten Schmiede, Wien (27.-29.11.1985), archiviert in der Österreichischen Mediathek.
Jelineks
Essays über Eva Meyer
Jelineks Hörspieltext
Erziehung eines Vampirs (1986)
Peter Ferms Hörspielbearbeitung
Sjukdom eller moderna kvinnor (1990)
Lied der Gruppe Stein
camilla reprise (1994)
Lisa D.s Moderevue
Ladies Only (1998)
Kathrin Tiedemann: Bram Stokers „Dracula“ und Le Fanus „Carmilla“ sind ja zwei
wichtige Quellen für KRANKHEIT. Wenn man „Dracula“ als literaturgeschichtlichen
Endpunkt dieses Genres liest, könnte man sagen, daß dort an der Schwelle zum 20. Jahrhundert
die Domestizierung der Frau zur Sekretärin, Hausfrau und Mutter beschrieben wird.
Und die Carmilla-Figur durchläuft ja eine entgegengesetzte Entwicklung von der Hausfrau
und Mutter zum Vampir. Was hat Sie denn so fasziniert an diesen Vampirgeschichten? Elfriede Jelinek: Mich hat immer die schwarze Romantik interessiert [...]. Und dann
habe ich eben für dieses Unheimliche, dieses nichtfaßbare Große des Vampirs etwas
Kleines gebraucht, an dem ich es festmachen konnte. Da ist mir eben die Krankenschwester
eingefallen, jemand, der eigentlich heilt und hilft und dem Arzt dient,
sich in diesem Fall aber andererseits ungeniert an der Theke des Arztes bedienen
kann. [...] Dann hab ich diesen Aufsatz von der Eva Meyer gefunden, von der Frau,
die kein großer Meister ist, weil sie, beschäftigt wie sie ist mit dem Verschwinden,
immer wieder auftauchen muß. Und „Carmilla“ von Le Fanu mit dem lesbischen
Vampir, der ja nicht begehrt wird, sondern selbst begehrt, was ja eine Rolle ist, die
für die Frau nicht vorgesehen ist, außer sie begehrt in der eigenen Verneinung. Und
in dem Fall ist sie ja sogar eine Erobernde, indem sie eine andere Frau auch noch
triggert. Oder eine Eroberte, die zu einer Erobernden wird und sich sogar gegen
ihre Kinder wendet. Und Emily Brontë war auch immer eine Figur in der
Literaturgeschichte, die mich immer sehr interessiert hat. Eine ewige Jungfrau. Die Mutter
und die Jungfrau – also nicht die Mutter und die Hure, sondern die Jungfräuliche,
die nur ihrem Werk lebt, auch ein Mann eigentlich. Daß [sic] ist ja für die Frau nicht
vorgesehen, nicht zu gebären und nur ihrem Werk zu leben. Es ist übrigens interessant,
daß im englischsprachigen Raum die alte Jungfer nichts Verächtliches ist,
sondern etwas, was Schöpferkraft hat. Die ganze englische Literatur ist ja auch von
solchen Jungfern durchzogen. [...] Für die beiden Vampire geht die Geschichte aber nicht gut aus. Das kann es auch nicht, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht danach sind.
Sie haben keinen Ort und können auch keinen finden, weil das Patriarchat sie ja
überall einholt und mit seinen relativ erbärmlichen Mitteln trotzdem stärker ist.
„In chinesischen Legenden steht geschrieben, daß große Meister in ihre Bilder hineingingen und verschwunden sind.
Die Frau ist kein großer Meister. Deshalb wird ihr Verschwinden nie vollkommen sein. Sie taucht wieder auf, beschäftigt wie sie ist, mit dem Verschwinden.“ Eva Meyer
Das Gedicht von Emily Brontë wurde von
Arno Schmidt
übersetzt. Den Tonfall möchte ich fast durchgehend, vor allem bei den Männern, rasch, agil, dynamisch, leicht.
Regiebemerkung, die dem Text vorangestellt ist
Krankheit oder Moderne Frauen ist in zwei Akte gegliedert, mit jeweils 5 (1. Akt) bzw. 6 (2. Akt) Szenen. Über ihre Quellen hat Jelinek dem Text Folgendes vorangestellt:
„Außerdem Dank an:
Jean Baudrillard
,
Robert Walser
,
Roland Barthes
,
Joseph Goebbels
,
Bram Stoker
,
Joseph Sheridan Le Fanu
,
Der Spiegel
, Der Hörfunk, Das Fernsehen u.v.a.“
Im 1. Akt ist die Bühne zweigeteilt: auf der rechten Seite befindet sich eine wilde Landschaft, auf der linken Seite die Arztpraxis von Dr. Heidkliff mit einer „Mischung aus Zahnarzt- und Gynäkologenstuhl“. In diesem Stuhl stirbt die Hausfrau Carmilla bei der Geburt ihres sechsten Kindes. Die tote Frau wird von Emily, einem lesbischen
Vampir
(
Homosexualität
), gebissen und dadurch ebenfalls zu einer Untoten (
Untote
) gemacht. Schauplatz des 2. Akts ist ein Schlafzimmer, in dem statt Betten Särge stehen. Carmilla hat ihre Kinder getötet, ernährt sich von ihrem Blut (
Kannibalismus
) und ist nun mit Emily zusammen. Carmillas Ehemann (
Ehe
), Benno Hundekoffer, und Dr. Heidkliff schließen sich zusammen, um die Vampirinnen zu jagen. Die beiden Untoten flüchten in eine Damentoilette, verwandeln sich dort in ein Doppelgeschöpf und werden von den beiden Männern erschossen.
Den titelgebenden Begriff der
Krankheit
bezieht Jelinek auf die weibliche Existenz in einer patriarchalen
Gesellschaft
(
Patriarchat
). Problematisiert wird u.a. auch das auf die Unterordnung ausgerichtete Bild der
Frau
des
Katholizismus
, dem das aktive Begehren der weiblichen Protagonistinnen entgegengestellt wird, das jedoch scheitern muss.
Mit Emiliy und Carmilla, den beiden weiblichen Vampiren, bezieht sich Jelinek auf die Schriftstellerin
Emily Brontë
und
Sheridan Le Fanus
Novelle Carmilla (1872). Weitere im Stück verarbeitete Intertexte sind u.a.
Bram Stokers
Dracula (1897),
Ingeborg Bachmanns
Der Fall Franza (1966) und
Brontës
Wuthering Heights (1847).
Eine Textpassage aus Jelineks Essay
Ich möchte seicht sein von 1986
ist mit einer Passage aus Krankheit verwandt, sie kommt so auch im Hörspieltext
Erziehung eines Vampirs
vor. Jelineks Kurzprosatext
Bild und Frau (1984)
ist Teil des Textes der Frauenstimme vom Band in der 5. Szene des 2. Akts von Krankheit .