Adolf-Ernst Meyer:Apropos Kommunismus: davon finde ich in Ihrem Werk auch nicht
sehr viel. Vielleicht noch am ehesten in den „Ausgesperrten“, wo Sie so recht klassisch die
drei Schichten schildern, den Arbeiter, die beiden Kleinbürger-Zwillinge und die
Oberklassen-Tochter Sophie, vormals von Pachhofen.
Elfriede Jelinek: Die Namen habe ich zum Teil aus dem „Mann ohne Eigenschaften“ entlehnt.
Das ist mir entgangen.
Es ist auch nur ein kleiner literarischer Scherz, bei dem entscheidend war, daß ich
mir den bewaffneten Terrorismus in der Bundesrepublik in seinen Wurzeln
vorgestellt habe, Ende der fünfziger Jahre, wo schon die Weichen gelegt worden sind, wo
es an der Kippe zur Genese der Jugendkultur stand, es war sozusagen eine
Zeitenwende. Ich versuche immer, meine Versuchsanordnungen möglichst rein zu
erhalten. Und hier konnte man das finden: Die Jugend hat halt Popmusik und Mode und
das alles bekommen zu einer Zeit, wo bei den Eltern noch die Erinnerung an den
Krieg und die Aufbaujahre lebendig waren.
So ein Gedanke ist am Rande ja dabei, mit Schallplatten und so...
Ja, es beginnt schon mit Rock ’n’ Roll, aber die eigentliche Popkultur beginnt erst
später, mit dem ersten Auftreten der Beatles. Die Klassenstruktur-Versuchsanordnung
entwickelt in den „Ausgesperrten“ diese Brisanz. Nur die Oberschicht kann
natürlich souverän sein, auch in der anarchistischen Aktion, weil sie keine Angst
vor Abstieg haben muß, während das Kleinbürgertum, das ja schon den Faschismus
mit hervorgebracht und getragen hat und heute immer noch die herrschende Klasse
ist, letztlich nur den eigenen Aufstiegsinteressen folgen will. Dieser brain drain, den
der Faschismus verursacht hat, indem er die jüdische Intelligenz, aber auch die
armen Junden [sic] vernichtet hat, hat das Kleinbürgertum als herrschende Klasse mit
sich gebracht. An diese [sic] Klasse mit ihrer Hoffnung auf Aufstieg und der Angst
vor Abstieg krankt das Deutsche bis heute.
aus: Adolf-Ernst Meyer: Elfriede Jelinek im Gespräch mit Adolf-Ernst Meyer. In: Jelinek, Elfriede / Heinrich, Jutta / Meyer, Adolf-Ernst: Sturm und Zwang. Schreiben als Geschlechterkampf. Hamburg: Klein 1995, S. 7-74, S. 20-24.
Jelinek, die sich in ihrem Roman auf einen realen Fall – der Oberschüler
Rainer Wunderer
ermordete in den 1960er Jahren seine Eltern – bezog, gestaltete den Stoff zuvor bereits als Hörspieltext (
Die Ausgesperrten, 1979
), nachdem aus einem Film-Projekt nichts geworden war. Der Roman entstand gleichzeitig mit dem Hörspieltext, wobei dieser noch vor dem Roman fertig war. Der Roman bildete die Grundlage für Jelineks Drehbuch zum gleichnamigen
Film (1982)
.
Der Text ist in Abschnitte gegliedert, die jeweils durch neue Seiten gekennzeichnet sind.
Im Zentrum der Handlung stehen vier jugendliche AußenseiterInnen (
Außenseiter
,
Außenseiterin
) aus verschiedenen sozialen Schichten der
Gesellschaft
im Wien der 1950er Jahre: Sophie Pachhofen, die privilegierte Tochter einer Industriellenfamilie, die Zwillinge Rainer und Anna Witkowski, die bei ihrem kriegsinvaliden Vater und ihrer Mutter in kleinbürgerlichen Verhältnissen leben, und der Arbeitersohn (
Arbeiter
) Hans Sepp, dessen Vater als Sozialist im KZ ermordet wurde. Rainer ist der Anführer der Bande, die in ihrer Freizeit Überfälle und Anschläge (
Terrorismus
) verübt. Die Gewalttaten kulminieren in einem Amoklauf Rainers, bei dem er seine
Familie
tötet.
Jelinek thematisiert u.a. das Fortbestehen der
Gewalt
in der Nachkriegsgeneration als Nachwirkung des
Nationalsozialismus
und als Resultat der fehlgeschlagenen
Vergangenheitsbewältigung
in
Österreich
. Jelinek zeigt auch, wie das Klassensystem und die traditionellen Rollen für
Frau
und
Mann
in der Nachkriegszeit weiterbestehen. Neben den intertextuellen Bezügen zu
Philosophie
und Literatur des Materialismus und Existenzialismus, vor allem zu
Jean Paul Sartre
und
Albert Camus
, werden, wie auch im Roman
Die Klavierspielerin (1983)
, Diskurse der
Psychoanalyse
verarbeitet.