Lust

Cover des Erstdrucks, 1989

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CD

 

Lust ist in 15 durchnummerierte Abschnitte gegliedert. Dem Text ist Folgendes vorangestellt: „Die Arbeit der Autorin am vorliegenden Text wurde durch den Deutschen Literaturfonds e.V. gefördert.“

Im Zentrum des Romans steht das Ehepaar (

Ehe

) Hermann und Gerti. Hermann ist Direktor einer in einer ländlichen Gegend Österreichs (

Ös­ter­reich

) errichteten Papierfabrik (

Ka­pi­ta­lis­mus

), der – aus Angst sich im Bordell mit Aids (

Krank­heit

) zu infizieren – seine sexuelle Lust nun bei seiner Frau befriedigt. Gerti meint bei einem Seitensprung ihre große Liebe, den Studenten Michael, gefunden zu haben, doch auch die außereheliche

Se­xua­li­tät

ist von

Ge­walt

geprägt. Um seine Frau wieder in Besitz zu nehmen, vergewaltigt Hermann sie in seinem Auto vor den Augen Michaels. Wieder zu Hause erstickt Gerti ihren mit Schlafmitteln betäubten Sohn und ertränkt ihn im Bach.

Zentrales Thema in Lust ist die eheliche Sexualität, die als Form der Unterdrückung der Frau im

Pa­tri­ar­chat

und als Akt der Gewalt des Mannes (

Mann

) gegen die

Frau

gezeigt wird. Der Roman ist auch im Kontext der PorNo-Kampagne der feministischen Zeitschrift Emma zu lesen, die Jelinek mit einem

State­ment

unterstützte. Jelineks Auseinandersetzung mit dem Thema

Por­no­gra­fie

manifestiert sich im Roman in Bezugnahmen auf kommerzielle Pornographie sowie auf die literarische Tradition der Pornographie der Überschreitung von

Ba­tail­le

und

de Sa­de

. Wichtige literarische Intertexte sind u.a. auch Gedichte von

Höl­der­lin

.

Jelinek thematisiert im Roman gesellschaftliche Machtstrukturen (

Ge­sell­schaft

), die

Aus­beu­tung

der ArbeiterInnen (

Ar­bei­ter

,

Ar­bei­te­rin

) in der Papierfabrik und die Zerstörung der

Na­tur

durch Kapitalismus und

Tou­ris­mus

. Lust ist der erste von drei Romanen, zu denen

Gier (2000)

und

Neid (2007/2008)

gehören, deren Titel auf eine der Sieben Todsünden (

Tod­sün­de

) anspielen. Der Roman setzt sich mit katholisch geprägten Frauen- und Männerbildern (

Ka­tho­li­zis­mus

) und den damit verbundenen Geschlechterrollen in Ehe und

Fa­mi­lie

auseinander. Der Roman wurde bereits vor seinem Erscheinen von den Medien als „Porno“ bzw. „Anti-Porno“ skandalisiert, Jelinek gab zahlreiche Interviews, wobei sich die Fragen vor allem auf ihre eigene Person konzentrierten.

 

Sigrid Löffler: Sie haben in einer dpa-Umfrage, woran Schriftsteller gerade arbeiten, „Lust“ als „weiblichen Porno“ angekündigt. Stehen Sie jetzt, wo das Buch fertig ist, noch dazu?

Elfriede Jelinek: Das ist ein Grundmißverständnis. Das war damals wirklich mein Plan, einen weiblichen Porno, einen weiblichen Gegenentwurf zu Georges Batailles „Geschichte des Auges“ zu schreiben. Ich wollte eine weibliche Sprache für das Obszöne finden. Aber im Schreiben hat der Text mich zerstört – als Subjekt und in meinem Anspruch, Pornographie zu schreiben. Ich habe erkannt, daß eine Frau diesen Anspruch nicht einlösen kann, zumindest nicht beim derzeitigen Zustand der Gesellschaft.

Warum soll eine Frau keinen Porno schreiben können?

Wenn sie es könnte, dann müßte es in der Literatur ästhetisch gelungene Pornographie von Frauen geben. Die gibt es aber nicht. Anais Nin und Erica Jong sind uninteressant, weil sie beide Henry Miller, also den männlichen Blick nachahmen. Die einzige ästhetisch geglückte weibliche Pornographie ist die „Geschichte der O“ von Pauline Réage, wobei ich glaube, daß ein Mann zumindest daran mitgearbeitet hat. [...]

Ihr Roman ist in der österreichischen Provinz angesiedelt, wo sie am ausweglosesten ist, und er beschreibt die bürgerliche Ehe in ihrer neuen Ausweglosigkeit, nämlich in der Zwangs-Treue des Aids-Zeitalters.

Um es auf den Punkt zu bringen – es geht in meinem Roman nicht mehr um Pornographie, sondern um Anti-Pornographie. Ich zeige, daß die Sexualität, wie sie sich im konventionellen Rahmen eines ehelichen Besitzverhältnisses abspielt, selbst Gewaltausübung ist, und zwar Gewalt des Mannes gegen die Frau.

Ihre Heldin Gerti – wenn man dieses ständig gedemütigte und benützte Besitzstück ihres Ehemannes überhaupt „Heldin“ nennen kann – scheint aber die Gewalt nicht nur als Folter zu empfinden. Jedenfalls geht sie eine zweite Beziehung ein, zu einem viel jüngeren und noch gewalttätigeren Mann. Warum das?

Ich wollte zeigen, daß die Frau in dem Augenblick, wo sie aktiv ein Objekt für ihre Begierde sucht – mit Freud gesagt: im Augenblick der phallischen Anmaßung der freien Objektwahl –, damit das Begehren des Mannes am sichersten auslöscht. Das Tragische ist, daß die Frau ihr Begehren nicht realisieren kann. Ihr Begehren löscht sein Begehren aus. Dahinter steckt der auch ökonomische Mechanismus, daß der Mann das, was er haben kann, nicht haben will.

aus: Sigrid Löffler: Ich mag Männer nicht, aber ich bin sexuell auf sie angewiesen . In: profil, 28.3.1989.