guten tag meine lieben ich freue mich euch endlich persönlich kennenzulernen!
bloss eines stört mich an euch: immer sollen die andren schuld sein. ihr müsst schon besser schauen wenn ihr die stiege herunterfallt
oder überfahren werdet oder eure stellung verliert.
da stellt man eben die bildschärfe genauer ein. der knopf ist doch wohl gross genug dass ihr ihn seht. nicht? manche von euch haben sich
dabei zu richtigen kleinen fachleuten entwickelt. die andren müssen allerdings noch fest üben.
und noch ein tip fürs wochenende:
wenn euch beim fernsehn mal friert dann holt rasch die warme jacke! bevor es einen schnupfen gibt. im kasten liegt sie doch. die hat euch nun
wirklich keiner weggenommen.
erzählung
solche die zuschauen nennt man zaungäste alle andren bilden die grosse lesergemeinde.
aus einer tür läuft ingrid aus der andren gerda. sie sind kaufm. lehrlinge. ihnen fehlt noch immer die kleinigkeit auf dies ankommt.
sie lesen in der zeitung immer über sachen die höhere schülerinnen in ihrer freizeit treiben. manchmal verstehen sie nicht alles. wenn man sie
fragt antworten sie: freitag um 4 ist die arbeit der woche vorbei.
freitag um 4 fühlen wir uns so glücklich & frei. das ist alles was sie können. sie wiederholen es immer wieder wie die idioten.
vorsicht vor zuviel! das sieht leicht angemalt aus.
wir wollen nur ein wenig zuschauen. wir wollen nichts kaputt machen. wir sind auch ganz ruhig und stören nicht. natürlich. ich bin für den
rummel verantwortlich. ich fotografiere schöne kleider. wenn ihr fleißig seid dürft ihr euch vielleicht ein neues kleid zum geburtstag wünschen.
zuerst aber reisse ich euch den reissverschluss auf. ich schlage euch mit der flachen hand ins gesicht eure köpfe fliegen zurück. ich berate & beantworte.
mini ist noch nicht passé. er wirkt wieder kombiniert mit wollstrümpfen in der farbe des kleides. ich versetze euch je einen schlag ins kreuz dass ihr taumelt.
haben sie noch lederreste in ihrer flickenkiste liebe gerda? nein? dann trete ich ihnen die oberen & unteren schneidezähne ein liebe gerda.
Der Titel des Romans ist eine Anspielung auf
Joseph Goebbels
Bildungsroman Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern (München: Verlag Frz. Eber Nachf. 1929).
Der Text ist in Kleinschreibung ohne Kommasetzung verfasst, die Wörter sind am Ende der Zeilen ohne Abteilungszeichen getrennt, statt y wird ü verwendet. Der Roman weist 28 Abschnitte auf, die jeweils auf einer neuen Seite beginnen und deren Überschriften meist Anreden an die LeserInnen sind (diese Abschnitte werden in der folgenden Aufzählung durch Zeilenumbrüche kenntlich gemacht). Die Abschnitte werden durch weitere Überschriften untergliedert (im Folgenden durch Strichpunkte voneinander getrennt):
Der Roman imitiert verschiedene Medienformate (
Medien
), vor allem deutsche und amerikanische Fernsehserien (
USA
), aber auch Genres der Printmedien wie Homestory, Mordbericht und Liebesroman, und setzt sich mit Trivialmythen (
Trivialmythos
) der
Pop-Kultur
, vor allem der Massenmedien, auseinander. Der durch
Ausbeutung
und
Gewalt
geprägten Welt der Arbeiterinnen (
Arbeiter
,
Arbeiterin
) in der Firma Kaffee-Koester wird die Familienidylle (
Familie
) des Firmeninhabers Michael Koester gegenübergestellt. Die Lehrlinge Gerda und Inge sind Medienkonsumentinnen, die nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können und ihrem Arbeitsalltag mit Hilfe der Medien entfliehen.
In einem der Abschnitte, die mit nacherzählung betitelt sind, hat Jelinek ihren Kurzprosatext
fragen zu flipper (1970)
weiterverarbeitet. Bestimmte Abschnitte stehen stilistisch und thematisch auch in enger Beziehung zu ihrem Kurzprosatext
untergang eines tauchers (1970)
und dem gleichnamigen
Hörspieltext (1973)
.