Burgtheater

Posse mit Gesang

Uraufführung an den Bühnen der Stadt Bonn, 1985. Foto: Stefan Odry

Personen

Käthe, Burgschauspielerin, Filmschauspielerin;Istvan, Burgschauspieler, Filmschauspieler, Käthes Mann; Schorsch, Burgschauspieler, Filmschauspieler, Istvans Bruder; Mitzi, Käthes und Istvans älteste Tochter; Mausi, Käthes und Istvans zweitälteste Tochter; Putzi, Käthes und Istvans jüngste Tochter; Therese, genannt Resi, mittellose Schwester Istvans, Dienstbote, Annie-Rosar-Typ; Ein Burgtheaterzwerg (am besten Fritz Hackl); Der Alpenkönig

Abdrucke

Erstdrucke:

  • Je­li­nek, El­frie­de

    :

    Burgtheater. In: manuskripte 76 (

    1982

    ), S. 49-69

    (ohne Allegorisches Zwischenspiel)

    .

  • Je­li­nek, El­frie­de

    :

    Burgtheater. In: Sterz 30 (

    1984

    ), S. 28-29

    (Erstdruck des Allegorischen Zwischenspiels; der Abdruck in den

    manuskripten

    ist als Faksimile an den Seitenrändern abgebildet)

    .

Weitere Abdrucke:

Teilabdrucke:

Abbildung der Seite 29 des Typoskripts

Aufführungen

Würdigung

1986 wurde Jelinek für Burgtheater von der Zeitschrift Theater heute zur „Dramatikerin des Jahres“ gewählt.

 

Der Titel Burgtheater verweist auf Österreichs (

Ös­ter­reich

) berühmtestes Theater sowie auf den gleichnamigen Film in der Regie von

Wil­ly Forst

aus dem Jahr 1936, der Untertitel Posse mit Gesang auf die Stücke

Jo­hann Nes­troys

.

Der Text, der die Verstrickung von KünstlerInnen (

Künst­ler

,

Künst­le­rin

) in den Propaganda-Apparat des

Na­tio­nal­so­zia­lis­mus

und die Kontinuitäten von Faschismus und

An­ti­se­mi­tis­mus

in der österreichischen Kunstproduktion anhand des opportunistischen Verhaltens einer Schauspielerfamilie (

Fa­mi­lie

) thematisiert, ist in zwei Teile gegliedert, wobei in den ersten Teil ein Allegorisches Zwischenspiel eingefügt ist. Der erste Teil spielt 1941 in Wien, der zweite Teil 1945 kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee.

Schauplatz des 1. Teils ist das Esszimmer im Hause der Schauspielerfamilie. Im Allegorischen Zwischenspiel tritt der in weiße Binden gewickelte Alpenkönig auf und bittet die Familie um finanzielle Unterstützung für eine örtliche Widerstandsgruppe, worauf er von Käthe, Schorsch und Istvan zu Tode geprügelt und anschließend zerstückelt wird. Im 2. Teil versuchen sich Käthe und Istvan angesichts des bevorstehenden Einmarsches der Russen durch den Burgtheaterzwerg, einen kleinwüchsigen Schauspieler, der die NS-Zeit mit Resis Hilfe überlebt hat, zu rehabilitieren. Die geplante Heirat (

Ehe

) des Zwerges mit Käthes Tochter Mitzi ist jedoch nicht mehr nötig, da Schorsch sich kurz vor Kriegsende als vermeintlicher Widerstandskämpfer inhaftieren ließ und nun nach Ende der NS-Herrschaft gut dasteht – und mit ihm die ganze Familie.

Ein wichtiger Intertext des Stücks ist der NS-Propagandafilm Heimkehr (1941), in dem

Pau­la Wes­se­ly

die Hauptrolle, eine deutsche Lehrerin in Polen, spielte. Der antisemitische Film (Regie:

Gus­tav Uci­cky

) versuchte, den Polenfeldzug Deutschlands zu rechtfertigen. Das Spektrum der darüber hinaus verarbeiteten Genres reicht von Propaganda- und Heimatfilmen (z.B. Ernte , 1936), Komödien und Melodramen (z.B. Burgtheater , 1936; Die ganz großen Torheiten , 1937) bis hin zu Operetten und Wienerliedern. In den Auftritt des Alpenkönigs im Allegorischen Zwischenspiel wurden Zitate aus

Fer­di­nand Rai­munds

Der Alpenkönig und der Menschenfeind und anderen Werken des Wiener Volkstheaters (z.B. Der Bauer als Millionär ) eingearbeitet. Ein weiterer Intertext (für den Schluss des 1. Teils) ist Ottokar von Hornecks Rede auf Österreich aus

Grill­par­zers

König Ottokars Glück und Ende .

Die Reaktionen auf Burgtheater begründeten Jelineks Ruf als „Nestbeschmutzerin“ in Österreich. Aus Anlass der Bonner Uraufführung attackierten in Österreich PolitikerInnen, JournalistInnen, Theaterleute und LeserbriefschreiberInnen die Autorin und nahmen das Schauspielerehepaar

Pau­la Wes­se­ly

At­ti­la Hör­bi­ger

, dessen Verhalten in der NS-Zeit Jelinek verarbeitete, gegenüber dem Stück in Schutz. Jelinek sprach sich in der Folge gegen eine Aufführung des Stücks in Österreich aus, sofern sie nicht am Burgtheater stattfände, gestattete aber 2005 die österreichische Erstaufführung am Theater im Bahnhof in Graz.

Jelineks Theatertext

Erl­kö­ni­gin (2002)

ist eine Art Epilog zu Burgtheater .

 

Was mein letztes Stück, „Burgtheater“, betrifft, so habe ich lange am Schneidetisch Kitschfilme, aber auch reine Propagandafilme („Heimkehr“) der Nazi-Ära angeschaut und Dialoge und Monologe mitgeschrieben. Es ging mir darum, mit den Mitteln der Sprache zu zeigen, wie wenig sich die Propagandasprache der Blut-und-Boden-Mythologie in der Nazikunst vom Kitsch der Heimatfilmsprache in den fünfziger Jahren, einer Zeit der Restauration, unterscheidet. Dieser Sumpf aus Liebe, Patriotismus, Deutschtümelei, Festlegung der Frau auf die Dienerin, Mutter, Gebärerin und tapfere Gefährtin von Helden, auf die stets sich selbst Verneinende, dem Mann Gehorchende – ein Matsch, der nach dem Krieg nie richtig trockengelegt worden ist, war mein Material, das ich zu einer Art Kunstsprache zusammengefügt habe, weil es in seiner Kitschigkeit und Verlogenheit nicht mehr zu überbieten ist. Diese Sprache ist nicht parodierbar. Sie „spricht für sich selbst“, und daher mußte ich nicht mehr sprechen. Ich arbeitete gewissermaßen linguistisch am Text, indem ich die Wörter, die schleimig und verwaschen die faschistische Ideologie transportierten, zu Wortneuschöpfungen umwandelte, Neologismen, die die ganze Brutalität des Faschismus enthüllen, ohne daß das einzelne Wort im Zusammenhang etwas bedeuten muß, zum Beispiel „Saubertöte“ statt „Zauberflöte“, „Sauschlitzerin“ statt „Schauspielerin“. Das Stück ist an realen Personen orientiert, die in der Zeit des Faschismus berühmte Schauspieler waren (und es heute genauso wären), aber nicht die Personen als solche sind mir wichtig gewesen, sondern das, wofür sie standen, was sie repräsentierten, wofür sie sich zum Werkzeug machten. Ähnlich wie im „Mephisto“ von Klaus Mann, in dem auch Gründgens als Person weniger wichtig ist als die Figur eines Aufsteigers in der Nazizeit, die eben bestimmte Züge eines bestimmten Menschen trägt.

aus: Elfriede Jelinek: Ich schlage sozusagen mit der Axt drein . In: TheaterZeitSchrift 7 (1984), S. 14-16, S. 15-16.

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