Was mein letztes Stück, „Burgtheater“, betrifft, so habe ich lange am Schneidetisch Kitschfilme, aber auch reine Propagandafilme („Heimkehr“) der Nazi-Ära angeschaut und Dialoge und Monologe mitgeschrieben. Es ging mir darum, mit den Mitteln der Sprache zu zeigen, wie wenig sich die Propagandasprache der Blut-und-Boden-Mythologie in der Nazikunst vom Kitsch der Heimatfilmsprache in den fünfziger Jahren, einer Zeit der Restauration, unterscheidet. Dieser Sumpf aus Liebe, Patriotismus, Deutschtümelei, Festlegung der Frau auf die Dienerin, Mutter, Gebärerin und tapfere Gefährtin von Helden, auf die stets sich selbst Verneinende, dem Mann Gehorchende – ein Matsch, der nach dem Krieg nie richtig trockengelegt worden ist, war mein Material, das ich zu einer Art Kunstsprache zusammengefügt habe, weil es in seiner Kitschigkeit und Verlogenheit nicht mehr zu überbieten ist. Diese Sprache ist nicht parodierbar. Sie „spricht für sich selbst“, und daher mußte ich nicht mehr sprechen. Ich arbeitete gewissermaßen linguistisch am Text, indem ich die Wörter, die schleimig und verwaschen die faschistische Ideologie transportierten, zu Wortneuschöpfungen umwandelte, Neologismen, die die ganze Brutalität des Faschismus enthüllen, ohne daß das einzelne Wort im Zusammenhang etwas bedeuten muß, zum Beispiel „Saubertöte“ statt „Zauberflöte“, „Sauschlitzerin“ statt „Schauspielerin“. Das Stück ist an realen Personen orientiert, die in der Zeit des Faschismus berühmte Schauspieler waren (und es heute genauso wären), aber nicht die Personen als solche sind mir wichtig gewesen, sondern das, wofür sie standen, was sie repräsentierten, wofür sie sich zum Werkzeug machten. Ähnlich wie im „Mephisto“ von Klaus Mann, in dem auch Gründgens als Person weniger wichtig ist als die Figur eines Aufsteigers in der Nazizeit, die eben bestimmte Züge eines bestimmten Menschen trägt.
aus: Elfriede Jelinek: Ich schlage sozusagen mit der Axt drein . In: TheaterZeitSchrift 7 (1984), S. 14-16, S. 15-16.
Der Titel Burgtheater verweist auf Österreichs (
Österreich
) berühmtestes Theater sowie auf den gleichnamigen Film in der Regie von
Willy Forst
aus dem Jahr 1936, der Untertitel Posse mit Gesang auf die Stücke
Johann Nestroys
.
Der Text, der die Verstrickung von KünstlerInnen (
Künstler
,
Künstlerin
) in den Propaganda-Apparat des
Nationalsozialismus
und die Kontinuitäten von Faschismus und
Antisemitismus
in der österreichischen Kunstproduktion anhand des opportunistischen Verhaltens einer Schauspielerfamilie (
Familie
) thematisiert, ist in zwei Teile gegliedert, wobei in den ersten Teil ein Allegorisches Zwischenspiel eingefügt ist. Der erste Teil spielt 1941 in Wien, der zweite Teil 1945 kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee.
Schauplatz des 1. Teils ist das Esszimmer im Hause der Schauspielerfamilie. Im Allegorischen Zwischenspiel tritt der in weiße Binden gewickelte Alpenkönig auf und bittet die Familie um finanzielle Unterstützung für eine örtliche Widerstandsgruppe, worauf er von Käthe, Schorsch und Istvan zu Tode geprügelt und anschließend zerstückelt wird. Im 2. Teil versuchen sich Käthe und Istvan angesichts des bevorstehenden Einmarsches der Russen durch den Burgtheaterzwerg, einen kleinwüchsigen Schauspieler, der die NS-Zeit mit Resis Hilfe überlebt hat, zu rehabilitieren. Die geplante Heirat (
Ehe
) des Zwerges mit Käthes Tochter Mitzi ist jedoch nicht mehr nötig, da Schorsch sich kurz vor Kriegsende als vermeintlicher Widerstandskämpfer inhaftieren ließ und nun nach Ende der NS-Herrschaft gut dasteht – und mit ihm die ganze Familie.
Ein wichtiger Intertext des Stücks ist der NS-Propagandafilm Heimkehr (1941), in dem
Paula Wessely
die Hauptrolle, eine deutsche Lehrerin in Polen, spielte. Der antisemitische Film (Regie:
Gustav Ucicky
) versuchte, den Polenfeldzug Deutschlands zu rechtfertigen. Das Spektrum der darüber hinaus verarbeiteten Genres reicht von Propaganda- und Heimatfilmen (z.B. Ernte , 1936), Komödien und Melodramen (z.B. Burgtheater , 1936; Die ganz großen Torheiten , 1937) bis hin zu Operetten und Wienerliedern. In den Auftritt des Alpenkönigs im Allegorischen Zwischenspiel wurden Zitate aus
Ferdinand Raimunds
Der Alpenkönig und der Menschenfeind und anderen Werken des Wiener Volkstheaters (z.B. Der Bauer als Millionär ) eingearbeitet. Ein weiterer Intertext (für den Schluss des 1. Teils) ist Ottokar von Hornecks Rede auf Österreich aus
Grillparzers
König Ottokars Glück und Ende .
Die Reaktionen auf Burgtheater begründeten Jelineks Ruf als „Nestbeschmutzerin“ in Österreich. Aus Anlass der Bonner Uraufführung attackierten in Österreich PolitikerInnen, JournalistInnen, Theaterleute und LeserbriefschreiberInnen die Autorin und nahmen das Schauspielerehepaar
Paula Wessely
–
Attila Hörbiger
, dessen Verhalten in der NS-Zeit Jelinek verarbeitete, gegenüber dem Stück in Schutz. Jelinek sprach sich in der Folge gegen eine Aufführung des Stücks in Österreich aus, sofern sie nicht am Burgtheater stattfände, gestattete aber 2005 die österreichische Erstaufführung am Theater im Bahnhof in Graz.
Jelineks Theatertext
Erlkönigin (2002)
ist eine Art Epilog zu Burgtheater .